Herbert Günther 

"Schein und Sein"

Wilhelm Busch 

Geboren am 15. April 1832 in Wiedensahl, gestorben am 9. Januar 1908 in Mechtshausen (heute zu Seesen)

Er gehört zu den wenigen Autoren, denen man kaum entrinnen kann. Selbst in kulturferner ländlicher Kindheit bin ich eines Tages seinen Bildergeschichten begegnet, hatte Wilhelm-Busch-Reime im Ohr, und auf Familienfeiern hörte ich die scheinbar für alle Lebenslagen passenden Nachdichtungen in schenkelklopfender Fröhlichkeit vorgetragen. Als Kind war ich darüber so erheitert wie verstört.

Dann war da die geographische Nähe. Ebergötzen, der Ort seiner zweiten Kindheit, liegt nicht weit entfernt von dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Ein Besuch der „Wilhelm-Busch-Mühle“ war also unumgänglich. Ich lernte: Er ist einer von uns, in seinem Ruhm dürfen wir Niedersachsen uns noch heute ein wenig sonnen. Nicht im Rheinland, nicht in Berlin steht die Wiege des deutschen Humors: sie steht in Wiedensahl, in Ebergötzen ...  

Beste Voraussetzungen also für Missverständnisse und Mystifikationen. Auch ich habe „meinen“ Wilhelm Busch über die Jahre vorurteilsvoll in Schubladen verwahrt. Schlagzeilenhaft stand darauf: „Erfolgreichster deutscher Humorist“, „Vorläufer der Comics“, „Antisemit“, „Zyniker“, „schwieriger Mensch“. Eine der aufregendsten Entdeckungen meiner gut dreijährigen Beschäftigung mit der Lebensgeschichte des Wilhelm Busch war die, dass sich hinter den hartnäckig verfestigten Schablonen ein Mensch versteckt, den die Reaktionen anderer, das Eingespanntwerden für alle möglichen Zwecke, zutiefst irritiert haben. Im Januar 1876 berichtet Wilhelm Busch an seinen Freund Erich Bachmann in Ebergötzen von einer Reise mit der Eisenbahn:

... in Kreiensen zog ein Herr meine „Abenteuer eines Junggesellen“ aus der Tasche und las sie laut der Reisegesellschaft vor bis Nordstemmen. Es war mir sehr peinlich und ekelhaft; ich that, als wenn ich schliefe ...

Seinen Biographen gegenüber war er misstrauisch, Schein und Sein ein ewiges Thema seines Lebens, die eigenen Mitteilungen über sich hat er, je älter er wurde, desto kürzer gehalten. Geschwätzig war er nie. Und obwohl es kaum ein Detail seines Lebens gibt, das die Forschung heute, fast hundert Jahre nach seinem Tod, nicht bloßgelegt hat, hat der über ihm ausgeschüttete Ruhm den Menschen Wilhelm Busch fast unsichtbar gemacht.  

Geboren wurde er, als Goethe starb, im Jahr 1832 in Wiedensahl bei Stadthagen, Königreich Hannover. Seine Eltern führten den Kaufmanns- laden im Dorf. Die Mutter war vor dieser Ehe schon einmal verheiratet gewesen. Sowohl ihr Mann als auch ihre drei Kinder waren gestorben. Wilhelm Busch war das erste Kind seiner Eltern, aber das vierte seiner Mutter.

Arbeitsam, sparsam und protestantisch streng ging es daheim zu. In seiner autobiographischen Schrift „Von mir über mich“ schrieb Wilhelm Busch: Mein Vater war Krämer, klein, kraus, rührig, mäßig und gewissenhaft; stets besorgt, nie zärtlich; zum Spaß geneigt, aber ernst gegen Dummheiten. Und über die Mutter: Meine Mutter, still und fromm, schaffte fleißig in Haus und Garten und pflegte nach dem Abendessen zu lesen.

Die Geschichte der Beziehung zwischen Eltern und Sohn ist eine Geschichte der verpassten oder unterdrückten Gespräche. Gefühle, lernt er gründlich, hat man für sich zu behalten.

Zur Schule gegangen ist er nur drei Jahre lang, zum Lehrer Bohnhorst in die Volksschule in Wiedensahl. Nasenquetschen, Ohrenverdrehen, sausende Rohrstöcke – eine Welt kleiner und großer Grausamkeiten – , so ist das pädagogische Bemühen und das triebhafte Dagegenwirken später in seinen Bildergeschichten dargestellt. Inbegriff der Freiheit sind ihm die Hütejungen, die die Kühe auf die Waldwiesen treiben.

Vier Geschwister waren inzwischen geboren, das Haus der Krämersleute platzte aus den Nähten, und so wurde Wilhelm, der Älteste – wie es nicht selten vorkam im 19. Jahrhundert - von zu Hause weggegeben. Er kam in die Familie des Onkels, Pastor Georg Kleine in Ebergötzen bei Göttingen . Ungefähr hundert Kilometer liegen zwischen Wiedensahl und Ebergötzen. Drei Tage, erzählt Wilhelm Busch, waren sie mit der Kutsche unterwegs.

Statt zur Schule zu gehen, hat er nun Privatunterricht bei seinem Onkel. Dabei lernt er viel mehr und ganz anderes, als man damals in einer öffentlichen Schule lernen konnte. Der Onkel ist Naturliebhaber, Beobachter und Erforscher seiner Lieblingstiere, der Bienen, Herausgeber des Bienenwirtschaftlichen Centralblatts. In Ebergötzen beginnt Wilhelm Busch zu zeichnen, für sich, für den Onkel.

Und in Ebergötzen findet er einen Freund: Erich Bachmann, den Sohn des Müllers. Schon bald erzählen sich die Leute im Dorf kopfschüttelnd und nicht immer freundlich von den Streichen, die die beiden Jungen aushecken. Sie ärgern den Dorftrottel und den Gastwirt, sie backen sich im Schlamm ein und lassen sich von der Sonne trocknen, sie fangen mit der Hand Forellen im Bach, stibitzen Äpfel und Birnen, basteln Fallen und stellen Singvögeln nach. Zwanzig Jahre später wird er für seine durch den Freund ermöglichten Begegnungen mit dem prallen dörflichen Leben Figuren und Reime finden, und alle Welt wird mit ihm lachen.

So unterschiedlich sie auch sind, Max und Moritz bleiben das ganze Leben lang Freunde. Max (Erich) wird Mühlenbesitzer, Bürgermeister und Hagelschätzer. Immer ist er der Praktische, Zupackende, für Wilhelm die Verbindung zum Leben wie es nun mal ist. Selber wird Wilhelm der irritierenden Lebensnähe immer wieder aus dem Wege gehen.

Als Wilhelm Busch nach drei Jahren zum ersten Mal wieder zu Besuch nach Wiedensahl kommt, begegnet er auf der Dorfstraße seiner Mutter. Ich kannte sie gleich, erzählt er später über diese Begegnung. Aber sie kannte mich nicht ... Er geht an seiner Mutter vorbei und tut, als ob auch er sie nicht kenne.

Der Vater will, dass sein ältester Sohn etwas Ordentliches, dass er Maschinenbauer wird. Fast fünf Jahre lang studiert Wilhelm Busch fleißig und brav, aber ohne große Lust, an der Polytechnischen Schule in Hannover. Hier erlebt er die 1848-iger Revolution. In späteren Äußerungen über diese Zeit erweckt er den Eindruck, als habe er in den Unruhen nur das Groteske und Komische sehen können. 1851 bricht er aus. Gegen den Willen des Vaters und ohne Schulabschluss geht er mit zwei Freunden zur Kunstakademie nach Düsseldorf, um Maler zu werden. Ein Maler wie Peter Paul Rubens, Adriaen Brower, Rembrandt, Frans Hals, wie die großen, berühmten Niederländer.

Doch die Kunstakademie wird für ihn zur Enttäuschung. Tagelang langweilt er sich im Gipsfigurenkabinett mit dem Abzeichnen antiker Figuren. Das akademische Malenlernen ist seine Sache nicht.

Nach einem Jahr verlässt er Düsseldorf und geht zur Kunstakademie nach Antwerpen. Dort sieht er zum ersten Mal die Bilder seiner berühmten Maler-Idole im Original und erschrickt. Alles, was er selber malen wollte, ist schon gemalt, besser als er es jemals können wird. Er fühlt sich als Versager und vergräbt seine „Niederlage“ tief in sich. Er malt weiter Ölbilder, aber Zeit seines Lebens wird er nicht den Mut finden, ein einziges der Öffentlichkeit preiszugeben.

Krankheit und Geldnot zwingen ihn zu einem schmachvollem Rückzug ins Elternhaus nach Wiedensahl. Erst nach zwei Jahren Unschlüssigkeit und tiefer Selbstzweifel wagt er sich wieder hinaus. Aber auch an der Kunstakademie in München geht es mit dem systematischen Malenlernen nicht voran. Zu sehr hat er seine eigenen Vorstellungen von guten Bildern und wehrt sich gegen die gängigen Malrichtungen seiner Zeit. Statt zu lernen, feiert er lieber ausführlich Fasching, trinkt viel Bier und Rotwein, dichtet Texte für Operetten und Faschingsschwänke und erfindet derbe, mitunter zotige Bildergeschichten für die Kneipzeitung.

Dem Münchner Verleger Caspar Braun gefällt das. Er fordert Wilhelm Busch auf, für seine bekannte Wochenzeitschrift Münchner Fliegende Blätter zu arbeiten. Für den Zweifelnden mit seinen ewigen Geldsorgen ein Silberstreif am Horizont.

Wie beiläufig kommt es zur Erfindung der Bildergeschichte. Wilhelm Busch ist Maler. Wenn er eine Geschichte entwirft, entstehen zuerst die Bilder. Dann erst kommen die, meist gereimten, Texte dazu. Seine Bilder zeichnet er seitenverkehrt auf Holzblöcke, die dann vom Xylographen, dem Holzschneider, mit der Stichel ausgestanzt und für den Druck hergerichtet werden.

Die Geldsorgen sind damit nicht vorbei. Der Verleger Caspar Braun knausert mit dem Honorar, Wilhelm Busch fühlt sich betrogen, und so erscheint 1864 sein erstes Buch unter dem Titel „Bilderpossen“ im Verlag Heinrich Richter in Dresden. Es wird ein Verkaufs-Misserfolg. Als Ersatz für den entgangenen Verdienst bietet Wilhelm Busch dem Dresdener Verleger ein Jahr später eine kleine Kindergeschichte an, ganz ohne Honorar. Heinrich Richter, Sohn des berühmten Malers Ludwig Richter, zögert. Dann schickt er die Geschichte zurück. „Leute, die an so etwas Spaß haben, kaufen keine Bücher“, so der ablehnende Bescheid.

Also wendet sich Wilhelm Busch doch wieder an Caspar Braun. Der reagiert schnell. Er zahlt dem Autor ein Honorar von 1000 Gulden – soviel wie ein Handwerker damals in zwei Jahren verdiente –, und Wilhelm Busch kommt es fürstlich vor. Die „kleine Bildergeschichte“ heißt "Max und Moritz" und wird zu einem der meist verkauften Bücher der Welt. Über den grüblerischen, skeptischen Krämerssohn aus protestantisch nüchterner Umgebung kommt nun der Ruhm, ein großer Humorist zu sein.

Es ist der Ruhm auf einem Gebiet, das ihm selbst Nebensache ist. Meine leichte Betriebsamkeit, nennt er es, Phantasiehanseln seine Figuren, Papiertheater seine Geschichten. Er nutzt die Gunst der Stunde, zeichnet und reimt weiter, und natürlich ist ihm die Sache auch gemäß. Bild und Text entsprechen sich, schnell kommen sie auf den Punkt, lassen alle Erdenschwere hinter sich, schwingen sich auf in ein Reich von Turbulenz und Kuriosität, sind aber doch immer irgendwie den „Peinlichkeiten des Lebens“ verbunden, erzählen vorwiegend davon. Anmaßung und Heuchelei werden schonungslos aufgedeckt. Jeder sieht sich gespiegelt in seinem vergeblichen Bemühen, Ordnung zu schaffen in seinem Leben. Kinder und Tiere stehen dem Ordnungsbemühen entschieden entgegen. Ruhe und Behaglichkeit sind immer nur scheinbar. In Wilhelm Busch-Geschichten kann man sicher sein: gleich explodiert Lehrer Lämpels Tabakspfeife, gleich bricht der Steg dem Schneider Böck unter den Füßen zusammen. Immer werden wir durch die Mühle des Lebens gedreht, es bleibt nichts anderes übrig, als sich mit seinen eigenen Unfertigkeiten im Chaos der Welt zu arrangieren. Es ist ein schadenfrohes Lachen, ein Lachen über andere, manchmal ein zynisches, aber spürbar bleibt immer: Die Unglücksraben sind wir selber. Ein bisschen von der Witwe Bolte, ein bisschen von Tobias Knopp, der frommen Helene, von Balduin Bählamm, von Maler Klecksel steckt in jedem von uns. Es ist auch ein befreiendes Lachen über die eigene Unfertigkeit. Lachen unter Tränen, so hat Wilhelm Busch es genannt.  

Sehr im Unterschied zu Heinrich Hoffmanns 1847 erschienenem pädagogischem Kinderbuch „Der Struwelpeter“ lernt man bei Wilhelm Busch Schopenhauersche Galligkeit: Der Mensch ist nicht erziehbar. Schopenhauer, der große, grimme, ist ihm bis zum Lebensende das philosophische Leitbild. „[...] wer also nicht die Einsamkeit liebt“, sagt Schopenhauer, „der liebt auch nicht die Freiheit.“

Nie hat Wilhelm Busch öffentlich geredet, nie hätte er eine Lesung gehalten. Aber im vertrauten Kreis von zwei, drei Menschen, wird berichtet, konnte er feurig und gesellig sein. Sein Verhältnis zu den Frauen ist ein Kapitel für sich. Einmal, im Sommer 1864, erscheint er vor dem Kurzwarenhändler Adolph Richter in Schöningen und hält in aller Form um die Hand der Tochter Anna an, die er im Haus seines Bruders in Wolfenbüttel kennengelernt hat. Schnöde wird er abgewiesen. Nie wieder wagt er sich so weit vor. Als junger Mann verehrt er reife und erfahrene Frauen in festen Verhältnissen. Als alter Mann zieht es ihn zu jungen, lebensvollen Mädchen. Wichtig ist, dass nichts daraus werden kann, dass keine Nähe droht.

Johanna Keßler, Bankiersfrau in Frankfurt am Main, ein Jahr älter als Busch, Mutter von acht Kindern, kunstinteressiert und von großbürgerlicher Lebensart, versucht ihn wieder für die große Kunst, für das Malen zu gewinnen. Sie richtet ihm ein Atelier mit Nordlicht ein, doch lange bleibt er nicht in der Großstadt. In seinem Leben, ganz anders als in seinen Geschichten, ist er ängstlich darauf bedacht, allen Turbulenzen auszuweichen. Er sucht und schützt die Abgeschiedenheit, das einfache, naturnahe Leben. Als sein Schwager, Pastor Hermann Nöldecke stirbt, lässt er auf seine Kosten das Pfarrwitwenhaus in Wiedensahl ausbauen, zieht zu seiner Schwester Fanny und finanziert den drei Neffen die Ausbildung. Jetzt ist er mit seiner Schwester verheiratet, ist Familienvater, und ist es doch nicht. So gefällt es ihm, so richtet er sich ein für den Rest seines Lebens.

Mit den Münchner Malerfreunden, dem berühmten Franz von Lenbach zum Beispiel, oder mit seinem nun in Heidelberg lebenden Freund und Verleger, Otto Bassermann, unternimmt er manchmal gemeinsame Reisen, oder er trifft sich mit ihnen auf neutralem Boden, in Hannover, in Göttingen, nie zu Hause in Wiedensahl.

 In ruhigem Fahrwasser ist auch längst das Verhältnis von Max und Moritz. Erich Bachmann ist der einzige Freund, den Wilhelm Busch ein Leben lang hat. An ihn schreibt er anders als an seine Künstlerfreunde, an die er wortreich seine wechselnden Stimmungen in beeindruckende Naturschilderungen zu kleiden weiß oder auch gern mal einen kleinen philosophischen Drachen steigen läßt. An Erich schreibt er: „ [...] wenn’s nicht gar zu arges Wetter ist, komme ich zu euch nach Ebergötzen. Da wollen wir denn mal wieder recht gemüthlich bei einander sitzen […]

Andere Bindungen sind weniger geradeaus, provozieren über die Zeit hinaus Fragen, offenbaren Widersprüche. Mit Hermann Levi, dem jüdischen Dirigenten bei Richard Wagner, verbindet ihn herzliche Freundschaft. Auch der jüdische Theaterschriftsteller Paul Lindau gehört zu seinem Freundeskreis. Warum dann die antisemitischen Ausfälle im Werk Wilhelm Buschs? Sie liegen in der Luft, in der Zeit, sind eine billige Möglichkeit für den Grübler, den Einsamen, einmal doch dazu zu gehören. Er kann nicht ahnen, zu welch fürchterlichen Verbrechen die antijüdische Stimmung in Deutschland 30 Jahre nach seinem Tod führen wird.

Mit 52 Jahren hört er auf, Bildergeschichten zu zeichnen. Früh schon zieht er Bilanz, blickt zurück, selbstkritisch, melancholisch, altersmilde:  

Sag, wie wär‘ es, alter Schragen,  
Wenn du mal die Brille putztest,
Um ein wenig nachzuschlagen,  
Wie du deine Zeit benutztest.

Oft wohl hätten dich so gerne  
Weiche Arme warm gebettet;  
Doch du standest kühl von ferne,  
Unbewegt, wie angekettet.

Oft wohl kam’s, dass du die schöne  
Zeit vergrimmtest und vergrolltest,  
Nur weil diese oder jene  
Nicht gewollt, so wie du wolltest.

Demnach hast du dich vergebens  
Meistenteils herumgetrieben;  
Denn die Summe unsres Lebens  

Sind die Stunden, wo wir lieben.  

Schon mit der Gedichtsammlung Kritik des Herzens, die er 1874 trotzig „ganz ohne Bilder“ in die Welt schickt, hat er sich dem Image des bloß lustig-harmlosen Witzblattzeichners zu widersetzen versucht. Und jetzt, im April 1891 erscheint plötzlich etwas ganz Neues. Eduards Traum heißt die Erzählung, und 1895 folgt eine zweite mit dem Titel Der Schmetterling. Es sind dies verschlüsselte Gedankenbilder, letzte Erkenntnisse von einem, der auf sein Leben zurückblickt und den es drängt, die ungeschminkte Wahrheit zu sagen. In Eduards Traum tritt er aus sich heraus. Als kalter, beobachtender, aber denkender Punkt beginnt er ein sprunghaftes Hin und Her, mal Dorf, mal Stadt, mal einfache, mal vornehme Leute, genau wie Wilhelm im richtigen Leben. Über seine Bildergeschichtenwelt sagt er: ... Es war alles Getus. Nämlich die Bewohner dieses unwesentlichen Landes sind hohl. Es scheint Sonne und Mond hindurch, und wer hinter ihnen steht, der kann ihnen mit Leichtigkeit die Knöpfe vorn an der Weste zählen ... Schwere gab’s hier nicht. Man bewegte sich am Boden oder in der Luft, gleichviel mit einer unabhängigen Leichtigkeit, wie sie nur bei solch rein förmlichen Blasengestalten und Windbeuteln sich denken läßt ... Übrigens hatt ich die leeren Gestalten dieser eingebildeten Welt jetzt satt gekriegt und beeilte mich wegzukommen ...

Es hat nichts genutzt. Die Nachwelt hat ihn an erster Stelle als Humoristen, Vater von Max und Moritz, Erfinder der Bildergeschichten, Vorläufer der Comics, als pointensicheren Reimer wahrgenommen. Seine Ölbilder, seine kleinen philosophischen Drachen, die Kunst, mit der er es ernst gemeint hat, ist bis heute im Schatten geblieben. Nach seinem Tod hat die Wilhelm Busch Gesellschaft die meisten der noch erhaltenen Bilder aufgekauft und im Wilhelm Busch Museum im Wallmodenschlößchen in Hannover-Herrenhausen ausgestellt. Viele seiner Bilder, Portäts, Interieurs, seine Landschaften mit Rotjacken vor allem haben mir gezeigt, dass man ihn als Maler vor seinem eigenen Urteil in Schutz nehmen muss.

Und im übrigen: Kein Ding sieht so aus wie es ist. Am wenigsten der Mensch, dieser lederne Sack voller Kniffe und Pfiffe. Er hätte sich nicht zu sorgen brauchen, von der Spaßgesellschaft vereinnahmt zu werden. Noch in seiner harmlosesten Bildergeschichte findet man immer auch das andere, die Kehrseite der Welt, das Abgründige, die Bitterkeit. So ist das bei den wirklichen Humoristen, Mark Twain, Charly Chaplin, Wilhelm Busch. Wenn sie nichts spüren ließen von ihren Erfahrungen mit der Rückseite des Spiegels, unser Lachen wäre schal und billig.

Und was Humor ist? Wilhelm Busch hat es so formuliert:  

Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,  
Er flattert sehr und kann nicht heim.  
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,  
Die Krallen scharf, die Augen gluh.  
Am Baum hinauf und immer höher  
Kommt er dem armen Vogel näher.  
Der Vogel denkt: Weil das so ist  
Und weil mich doch der Kater frißt,  
So will ich keine Zeit verlieren,  
Will noch ein wenig quinquilieren  
Und lustig pfeifen wie zuvor.  
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.

Werke:

Erste Veröffentlichungen von Bildergeschichten in den Fliegenden   Blättern;  München ab 1858. – Einzelveröffentlichungen:

Bilderpossen,  Dresden 1864; Max und Moritz, München 1865; Hans Huckebein, der Unglücksrabe, Stuttgart 1867; Die kühne Müllerstocher, Stuttgart 1868; Schnurrdiburr oder die Bienen, München 1869; Der Heilige Antonius von Padua, Lahr 1870; Pater Filucius, Heidelberg 1872; Die fromme Helene, Heidelberg 1872; Bilder zur Jobsiade, Heidelberg 1872; Der Geburtstag oder Die Partikularisten, Heidelberg 1873; Dideldum, Heidelberg 1874; Kritik des Herzens, Heidelberg 1874; Knopp-Trilogie (Abenteuer eines Junggesellen; Herr und Frau Knopp; Julchen), Heidelberg 1875 – 77; Die Haarbeutel, Heidelberg 1878; Fipps der Affe, München 1879; Der Fuchs – Die Drachen. Zwei lustige Sachen, München 1881; Stippstörchen für Äuglein und Öhrchen, München 1881; Plisch und Plum, München 1882; Balduin Bählamm, München 1883; Maler Klecksel, München 1884; Eduards Traum, München 1891; Der Schmetterling, München 1895; Zu guter Letzt, München 1904; Hernach, München 1908.

Werkausgaben:
Sämtliche Werke. Band 1 – 8. Hrsg. von Otto Nöldeke, München 1943; Sämtliche Briefe. Kommentierte Ausgabe... Hannover 1968/69.
Die Bildergeschichten. Historisch-kritische Ausgabe. Band 1 – 3. Bearbeitet von Hans Ries unter Mitarbeit von Ingrid Haberland, im Auftrag der Wilhelm-Busch-Gesellschaft herausgegeben von Herwig Guratzsch und Hans Joachim Neyer. Hannover 2002.

Über Wilhelm Busch:

Joseph Kraus: Wilhelm Busch in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1970.
Gerd Ueding: Wilhelm Busch. Das 19. Jahrhundert en miniature. Frankfurt/Main 1977.
Wilhelm Busch: Lebenszeugnisse. Aus der Sammlung des Wilhelm-Busch-Museums Hannover. Hrsg. von Herwig Guratzsch. Stuttgart 1987.
Herbert Günther: Der Versteckspieler. Die Lebensgeschichte des Wilhelm Busch. Weinheim 2002.



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