Dann
war da die geographische Nähe. Ebergötzen, der Ort seiner
zweiten Kindheit, liegt nicht weit entfernt von dem Dorf, in dem
ich aufgewachsen bin. Ein Besuch der „Wilhelm-Busch-Mühle“
war also unumgänglich. Ich lernte: Er ist einer von uns, in
seinem Ruhm dürfen wir Niedersachsen uns noch heute ein wenig
sonnen. Nicht im Rheinland, nicht in Berlin steht die Wiege des
deutschen Humors: sie steht in Wiedensahl, in Ebergötzen ...
Beste
Voraussetzungen also für Missverständnisse und Mystifikationen. Auch
ich habe „meinen“ Wilhelm Busch über die Jahre vorurteilsvoll in
Schubladen verwahrt. Schlagzeilenhaft stand darauf: „Erfolgreichster
deutscher Humorist“, „Vorläufer der Comics“, „Antisemit“,
„Zyniker“, „schwieriger Mensch“. Eine der aufregendsten
Entdeckungen meiner gut dreijährigen Beschäftigung mit der
Lebensgeschichte des Wilhelm Busch war die, dass sich hinter den hartnäckig
verfestigten Schablonen ein Mensch versteckt, den die Reaktionen
anderer, das Eingespanntwerden für alle möglichen Zwecke, zutiefst
irritiert haben. Im Januar 1876 berichtet Wilhelm Busch an seinen Freund
Erich Bachmann in Ebergötzen von einer Reise mit der Eisenbahn:
... in Kreiensen zog ein Herr meine „Abenteuer eines Junggesellen“
aus der Tasche und las sie laut der Reisegesellschaft vor bis
Nordstemmen. Es war mir sehr peinlich und ekelhaft; ich that, als wenn
ich schliefe ...
Seinen
Biographen gegenüber war er misstrauisch, Schein und Sein ein ewiges
Thema seines Lebens, die eigenen Mitteilungen über sich hat er, je älter
er wurde, desto kürzer gehalten. Geschwätzig war er nie. Und obwohl es
kaum ein Detail seines Lebens gibt, das die Forschung heute, fast
hundert Jahre nach seinem Tod, nicht bloßgelegt hat, hat der über ihm
ausgeschüttete Ruhm den Menschen Wilhelm Busch fast unsichtbar gemacht.
Geboren
wurde er, als Goethe starb, im Jahr 1832 in Wiedensahl bei Stadthagen, Königreich
Hannover. Seine Eltern führten den Kaufmanns- laden im Dorf. Die Mutter
war vor dieser Ehe schon einmal verheiratet gewesen. Sowohl ihr Mann als
auch ihre drei Kinder waren gestorben. Wilhelm Busch war das erste Kind
seiner Eltern, aber das vierte seiner Mutter.
Arbeitsam,
sparsam und protestantisch streng ging es daheim zu. In seiner
autobiographischen Schrift „Von mir über mich“ schrieb Wilhelm
Busch: Mein Vater war Krämer,
klein, kraus, rührig, mäßig und gewissenhaft; stets besorgt, nie zärtlich;
zum Spaß geneigt, aber ernst gegen Dummheiten. Und über die
Mutter: Meine Mutter, still und fromm, schaffte fleißig in Haus und Garten und
pflegte nach dem Abendessen zu lesen.
Die
Geschichte der Beziehung zwischen Eltern und Sohn ist eine Geschichte
der verpassten oder unterdrückten Gespräche. Gefühle, lernt er gründlich,
hat man für sich zu behalten.
Zur
Schule gegangen ist er nur drei Jahre lang, zum Lehrer Bohnhorst in die
Volksschule in Wiedensahl. Nasenquetschen, Ohrenverdrehen, sausende
Rohrstöcke – eine Welt kleiner und großer Grausamkeiten – , so ist
das pädagogische Bemühen und das triebhafte Dagegenwirken später in
seinen Bildergeschichten dargestellt. Inbegriff der Freiheit sind ihm
die Hütejungen, die die Kühe auf die Waldwiesen treiben.
Vier
Geschwister waren inzwischen geboren, das Haus der Krämersleute platzte
aus den Nähten, und so wurde Wilhelm, der Älteste – wie es nicht
selten vorkam im 19. Jahrhundert - von zu Hause weggegeben. Er kam in
die Familie des Onkels, Pastor Georg Kleine in Ebergötzen bei Göttingen
. Ungefähr hundert Kilometer liegen zwischen Wiedensahl und Ebergötzen.
Drei Tage, erzählt Wilhelm Busch, waren sie mit der Kutsche unterwegs.
Statt
zur Schule zu gehen, hat er nun Privatunterricht bei seinem Onkel. Dabei
lernt er viel mehr und ganz anderes, als man damals in einer öffentlichen
Schule lernen konnte. Der Onkel ist Naturliebhaber, Beobachter und
Erforscher seiner Lieblingstiere, der Bienen, Herausgeber des Bienenwirtschaftlichen
Centralblatts. In Ebergötzen beginnt Wilhelm Busch zu zeichnen, für
sich, für den Onkel.
Und
in Ebergötzen findet er einen Freund: Erich Bachmann, den Sohn des Müllers.
Schon bald erzählen sich die Leute im Dorf kopfschüttelnd und nicht
immer freundlich von den Streichen, die die beiden Jungen aushecken. Sie
ärgern den Dorftrottel und den Gastwirt, sie backen sich im Schlamm ein
und lassen sich von der Sonne trocknen, sie fangen mit der Hand Forellen
im Bach, stibitzen Äpfel und Birnen, basteln Fallen und stellen Singvögeln
nach. Zwanzig Jahre später wird er für seine durch den Freund ermöglichten
Begegnungen mit dem prallen dörflichen Leben Figuren und Reime finden,
und alle Welt wird mit ihm lachen.
So
unterschiedlich sie auch sind, Max und Moritz bleiben das ganze Leben
lang Freunde. Max (Erich) wird Mühlenbesitzer, Bürgermeister und
Hagelschätzer. Immer ist er der Praktische, Zupackende, für Wilhelm
die Verbindung zum Leben wie es nun mal ist. Selber wird Wilhelm der
irritierenden Lebensnähe immer wieder aus dem Wege gehen.
Als
Wilhelm Busch nach drei Jahren zum ersten Mal wieder zu Besuch nach
Wiedensahl kommt, begegnet er auf der Dorfstraße seiner Mutter. Ich kannte sie gleich, erzählt er später über diese Begegnung. Aber
sie kannte mich nicht ... Er geht an seiner Mutter vorbei und tut,
als ob auch er sie nicht kenne.
Der
Vater will, dass sein ältester Sohn etwas Ordentliches, dass er
Maschinenbauer wird. Fast fünf Jahre lang studiert Wilhelm Busch fleißig
und brav, aber ohne große Lust, an der Polytechnischen Schule in
Hannover. Hier erlebt er die 1848-iger Revolution. In späteren Äußerungen
über diese Zeit erweckt er den Eindruck, als habe er in den Unruhen nur
das Groteske und Komische sehen können. 1851 bricht er aus. Gegen den
Willen des Vaters und ohne Schulabschluss geht er mit zwei Freunden zur
Kunstakademie nach Düsseldorf, um
Maler zu werden. Ein Maler wie Peter Paul Rubens, Adriaen Brower,
Rembrandt, Frans Hals, wie die großen, berühmten Niederländer.
Doch
die Kunstakademie wird für ihn zur Enttäuschung. Tagelang langweilt er
sich im Gipsfigurenkabinett mit dem Abzeichnen antiker Figuren. Das
akademische Malenlernen ist seine Sache nicht.
Nach
einem Jahr verlässt er Düsseldorf und geht zur Kunstakademie nach
Antwerpen. Dort sieht er zum ersten Mal die Bilder seiner berühmten
Maler-Idole im Original und erschrickt. Alles, was er selber malen
wollte, ist schon gemalt, besser als er es jemals können wird. Er fühlt
sich als Versager und vergräbt seine „Niederlage“ tief in sich. Er
malt weiter Ölbilder, aber Zeit seines Lebens wird er nicht den Mut
finden, ein einziges der Öffentlichkeit preiszugeben.
Krankheit
und Geldnot zwingen ihn zu einem schmachvollem Rückzug ins Elternhaus
nach Wiedensahl. Erst nach zwei Jahren Unschlüssigkeit und tiefer
Selbstzweifel wagt er sich wieder hinaus. Aber auch an der Kunstakademie
in München geht es mit dem systematischen Malenlernen nicht voran. Zu
sehr hat er seine eigenen Vorstellungen von guten Bildern und wehrt sich
gegen die gängigen Malrichtungen seiner Zeit. Statt zu lernen, feiert
er lieber ausführlich Fasching, trinkt viel Bier und Rotwein, dichtet
Texte für Operetten und Faschingsschwänke und erfindet derbe, mitunter
zotige Bildergeschichten für die Kneipzeitung.
Dem
Münchner Verleger Caspar Braun gefällt das. Er fordert Wilhelm Busch
auf, für seine bekannte Wochenzeitschrift Münchner
Fliegende Blätter zu arbeiten. Für den Zweifelnden mit seinen
ewigen Geldsorgen ein Silberstreif am Horizont.
Wie
beiläufig kommt es zur Erfindung der Bildergeschichte. Wilhelm Busch
ist Maler. Wenn er eine Geschichte entwirft, entstehen zuerst die
Bilder. Dann erst kommen die, meist gereimten, Texte dazu. Seine Bilder
zeichnet er seitenverkehrt auf Holzblöcke, die dann vom Xylographen,
dem Holzschneider, mit der Stichel ausgestanzt und für den Druck
hergerichtet werden.
Die
Geldsorgen sind damit nicht vorbei. Der Verleger Caspar Braun knausert
mit dem Honorar, Wilhelm Busch fühlt sich betrogen, und so erscheint
1864 sein erstes Buch unter dem Titel „Bilderpossen“ im Verlag
Heinrich Richter in Dresden. Es wird ein Verkaufs-Misserfolg. Als Ersatz
für den entgangenen Verdienst bietet Wilhelm Busch dem Dresdener
Verleger ein Jahr später eine kleine Kindergeschichte an, ganz ohne Honorar. Heinrich Richter, Sohn des berühmten Malers
Ludwig Richter, zögert. Dann schickt er die Geschichte zurück.
„Leute, die an so etwas Spaß haben, kaufen keine Bücher“, so der
ablehnende Bescheid.
Also
wendet sich Wilhelm Busch doch wieder an Caspar Braun. Der reagiert
schnell. Er zahlt dem Autor ein Honorar von 1000 Gulden – soviel wie
ein Handwerker damals in zwei Jahren verdiente –, und Wilhelm Busch
kommt es fürstlich vor. Die „kleine Bildergeschichte“ heißt
"Max und Moritz" und wird zu einem der meist verkauften Bücher der Welt. Über den
grüblerischen, skeptischen Krämerssohn aus protestantisch nüchterner
Umgebung kommt nun der Ruhm, ein großer Humorist zu sein.
Es
ist der Ruhm auf einem Gebiet, das ihm selbst Nebensache ist. Meine
leichte Betriebsamkeit, nennt er es, Phantasiehanseln
seine Figuren, Papiertheater
seine Geschichten. Er nutzt die Gunst der Stunde, zeichnet und reimt
weiter, und natürlich ist ihm die Sache auch gemäß. Bild und Text
entsprechen sich, schnell kommen sie auf den Punkt, lassen alle
Erdenschwere hinter sich, schwingen sich auf in ein Reich von Turbulenz
und Kuriosität, sind aber doch immer irgendwie den „Peinlichkeiten
des Lebens“ verbunden, erzählen vorwiegend davon. Anmaßung und
Heuchelei werden schonungslos aufgedeckt. Jeder sieht sich gespiegelt in
seinem vergeblichen Bemühen, Ordnung zu schaffen in seinem Leben.
Kinder und Tiere stehen dem Ordnungsbemühen entschieden entgegen. Ruhe
und Behaglichkeit sind immer nur scheinbar. In Wilhelm Busch-Geschichten
kann man sicher sein: gleich explodiert Lehrer Lämpels Tabakspfeife,
gleich bricht der Steg dem Schneider Böck unter den Füßen zusammen.
Immer werden wir durch die Mühle des Lebens gedreht, es bleibt nichts
anderes übrig, als sich mit seinen eigenen Unfertigkeiten im Chaos der
Welt zu arrangieren. Es ist ein schadenfrohes Lachen, ein Lachen über
andere, manchmal ein zynisches, aber spürbar bleibt immer: Die Unglücksraben
sind wir selber. Ein bisschen von der Witwe Bolte, ein bisschen von
Tobias Knopp, der frommen Helene, von Balduin Bählamm, von Maler
Klecksel steckt in jedem von uns. Es ist auch ein befreiendes Lachen über
die eigene Unfertigkeit. Lachen
unter Tränen, so hat Wilhelm Busch es genannt.
Sehr
im Unterschied zu Heinrich Hoffmanns 1847 erschienenem pädagogischem
Kinderbuch „Der Struwelpeter“ lernt man bei Wilhelm Busch
Schopenhauersche Galligkeit: Der Mensch ist nicht erziehbar.
Schopenhauer, der große, grimme,
ist ihm bis zum Lebensende das philosophische Leitbild. „[...] wer
also nicht die Einsamkeit liebt“, sagt Schopenhauer, „der liebt auch
nicht die Freiheit.“
Nie
hat Wilhelm Busch öffentlich geredet, nie hätte er eine Lesung
gehalten. Aber im vertrauten Kreis von zwei, drei Menschen, wird
berichtet, konnte er feurig und gesellig sein. Sein Verhältnis zu den
Frauen ist ein Kapitel für sich. Einmal, im Sommer 1864, erscheint er
vor dem Kurzwarenhändler Adolph Richter in Schöningen und hält in
aller Form um die Hand der Tochter Anna an, die er im Haus seines
Bruders in Wolfenbüttel kennengelernt hat. Schnöde wird er abgewiesen.
Nie wieder wagt er sich so weit vor. Als junger Mann verehrt er reife
und erfahrene Frauen in festen Verhältnissen. Als alter Mann zieht es
ihn zu jungen, lebensvollen Mädchen. Wichtig ist, dass nichts daraus
werden kann, dass keine Nähe droht.
Johanna
Keßler, Bankiersfrau in Frankfurt am Main, ein Jahr älter als Busch,
Mutter von acht Kindern, kunstinteressiert und von großbürgerlicher
Lebensart, versucht ihn wieder für die große Kunst, für das Malen zu
gewinnen. Sie richtet ihm ein Atelier mit Nordlicht ein, doch lange
bleibt er nicht in der Großstadt. In seinem Leben, ganz anders als in
seinen Geschichten, ist er ängstlich darauf bedacht, allen Turbulenzen
auszuweichen. Er sucht und schützt die Abgeschiedenheit, das einfache,
naturnahe Leben. Als sein Schwager, Pastor Hermann Nöldecke stirbt, lässt
er auf seine Kosten das Pfarrwitwenhaus in Wiedensahl ausbauen, zieht zu
seiner Schwester Fanny und finanziert den drei Neffen die Ausbildung.
Jetzt ist er mit seiner Schwester verheiratet, ist Familienvater, und
ist es doch nicht. So gefällt es ihm, so richtet er sich ein für den
Rest seines Lebens.
Mit
den Münchner Malerfreunden, dem berühmten Franz von Lenbach zum
Beispiel, oder mit seinem nun in Heidelberg lebenden Freund und
Verleger, Otto Bassermann, unternimmt er manchmal gemeinsame Reisen,
oder er trifft sich mit ihnen auf neutralem
Boden, in Hannover, in Göttingen, nie zu Hause in Wiedensahl.
In
ruhigem Fahrwasser ist auch längst das Verhältnis von Max und Moritz.
Erich Bachmann ist der einzige Freund, den Wilhelm Busch ein Leben lang
hat. An ihn schreibt er anders als an seine Künstlerfreunde, an die er
wortreich seine wechselnden Stimmungen in beeindruckende
Naturschilderungen zu kleiden weiß oder auch gern mal einen
kleinen philosophischen Drachen steigen läßt. An Erich schreibt
er: „ [...] wenn’s nicht gar
zu arges Wetter ist, komme ich zu euch nach Ebergötzen. Da wollen wir
denn mal wieder recht gemüthlich bei einander sitzen […]
Andere
Bindungen sind weniger geradeaus, provozieren über die Zeit hinaus
Fragen, offenbaren Widersprüche. Mit Hermann Levi, dem jüdischen
Dirigenten bei Richard Wagner, verbindet ihn herzliche Freundschaft.
Auch der jüdische Theaterschriftsteller Paul Lindau gehört zu seinem
Freundeskreis. Warum dann die antisemitischen Ausfälle im Werk Wilhelm
Buschs? Sie liegen in der Luft, in der Zeit, sind eine billige Möglichkeit
für den Grübler, den Einsamen, einmal doch dazu zu gehören. Er kann
nicht ahnen, zu welch fürchterlichen Verbrechen die antijüdische
Stimmung in Deutschland 30 Jahre nach seinem Tod führen wird.
Mit
52 Jahren hört er auf, Bildergeschichten zu zeichnen. Früh schon zieht
er Bilanz, blickt zurück, selbstkritisch, melancholisch, altersmilde:
Sag,
wie wär‘ es, alter Schragen,
Wenn
du mal die Brille putztest,
Um
ein wenig nachzuschlagen,
Wie
du deine Zeit benutztest.
Oft
wohl hätten dich so gerne
Weiche
Arme warm gebettet;
Doch
du standest kühl von ferne,
Unbewegt,
wie angekettet.
Oft
wohl kam’s, dass du die schöne
Zeit
vergrimmtest und vergrolltest,
Nur
weil diese oder jene
Nicht
gewollt, so wie du wolltest.
Demnach
hast du dich vergebens
Meistenteils
herumgetrieben;
Denn
die Summe unsres Lebens
Sind die Stunden, wo wir lieben.
Schon
mit der Gedichtsammlung Kritik des
Herzens, die er 1874 trotzig „ganz ohne Bilder“ in die Welt
schickt, hat er sich dem Image des bloß lustig-harmlosen
Witzblattzeichners zu widersetzen versucht. Und jetzt, im April 1891
erscheint plötzlich etwas ganz Neues. Eduards
Traum heißt die Erzählung, und 1895 folgt eine zweite mit dem
Titel Der Schmetterling. Es
sind dies verschlüsselte Gedankenbilder, letzte Erkenntnisse von einem,
der auf sein Leben zurückblickt und den es drängt, die ungeschminkte
Wahrheit zu sagen. In Eduards
Traum tritt er aus sich heraus. Als kalter, beobachtender, aber
denkender Punkt beginnt er ein sprunghaftes Hin und Her, mal Dorf, mal
Stadt, mal einfache, mal vornehme Leute, genau wie Wilhelm im richtigen
Leben. Über seine Bildergeschichtenwelt sagt er: ...
Es war alles Getus. Nämlich die Bewohner dieses unwesentlichen Landes
sind hohl. Es scheint Sonne und Mond hindurch, und wer hinter ihnen
steht, der kann ihnen mit Leichtigkeit die Knöpfe vorn an der Weste zählen
... Schwere gab’s hier nicht. Man bewegte sich am Boden oder in der
Luft, gleichviel mit einer unabhängigen Leichtigkeit, wie sie nur bei
solch rein förmlichen Blasengestalten und Windbeuteln sich denken läßt
... Übrigens hatt ich die leeren Gestalten dieser eingebildeten Welt
jetzt satt gekriegt und beeilte mich wegzukommen ...
Es
hat nichts genutzt. Die Nachwelt hat ihn an erster Stelle als
Humoristen, Vater von Max und Moritz, Erfinder der Bildergeschichten,
Vorläufer der Comics, als pointensicheren Reimer wahrgenommen. Seine Ölbilder,
seine kleinen philosophischen Drachen, die Kunst, mit der er es ernst
gemeint hat, ist bis heute im Schatten geblieben. Nach seinem Tod hat
die Wilhelm Busch Gesellschaft die meisten der noch erhaltenen Bilder
aufgekauft und im Wilhelm Busch Museum im Wallmodenschlößchen in
Hannover-Herrenhausen ausgestellt. Viele seiner Bilder, Portäts,
Interieurs, seine Landschaften mit
Rotjacken vor allem haben mir gezeigt, dass man ihn als Maler vor
seinem eigenen Urteil in Schutz nehmen muss.
Und
im übrigen: Kein Ding sieht so
aus wie es ist. Am wenigsten der Mensch, dieser lederne Sack voller
Kniffe und Pfiffe. Er hätte sich nicht zu sorgen brauchen, von der
Spaßgesellschaft vereinnahmt zu werden. Noch in seiner harmlosesten
Bildergeschichte findet man immer auch das andere, die Kehrseite der
Welt, das Abgründige, die Bitterkeit. So ist das bei den wirklichen
Humoristen, Mark Twain, Charly Chaplin, Wilhelm Busch. Wenn sie nichts
spüren ließen von ihren Erfahrungen mit der Rückseite des Spiegels,
unser Lachen wäre schal und billig.
Und
was Humor ist? Wilhelm Busch hat es so formuliert:
Es
sitzt ein Vogel auf dem Leim,
Er
flattert sehr und kann nicht heim.
Ein
schwarzer Kater schleicht herzu,
Die
Krallen scharf, die Augen gluh.
Am
Baum hinauf und immer höher
Kommt
er dem armen Vogel näher.
Der
Vogel denkt: Weil das so ist
Und
weil mich doch der Kater frißt,
So
will ich keine Zeit verlieren,
Will
noch ein wenig quinquilieren
Und
lustig pfeifen wie zuvor.
Der
Vogel, scheint mir, hat Humor.
Werke:
Erste Veröffentlichungen
von Bildergeschichten in den Fliegenden
Blättern; München
ab 1858. – Einzelveröffentlichungen:
Bilderpossen,
Dresden 1864; Max und Moritz, München 1865; Hans Huckebein, der
Unglücksrabe, Stuttgart 1867; Die kühne Müllerstocher, Stuttgart
1868; Schnurrdiburr oder die Bienen, München 1869; Der Heilige Antonius
von Padua, Lahr 1870; Pater Filucius, Heidelberg 1872; Die fromme
Helene, Heidelberg 1872; Bilder zur Jobsiade, Heidelberg 1872; Der
Geburtstag oder Die Partikularisten, Heidelberg 1873; Dideldum,
Heidelberg 1874; Kritik des Herzens, Heidelberg 1874; Knopp-Trilogie
(Abenteuer eines Junggesellen; Herr und Frau Knopp; Julchen), Heidelberg
1875 – 77; Die Haarbeutel, Heidelberg 1878; Fipps der Affe, München
1879; Der Fuchs – Die Drachen. Zwei lustige Sachen, München 1881;
Stippstörchen für Äuglein und Öhrchen, München 1881; Plisch und
Plum, München 1882; Balduin Bählamm, München 1883; Maler Klecksel, München
1884; Eduards Traum, München 1891; Der Schmetterling, München 1895; Zu
guter Letzt, München 1904; Hernach, München 1908.
Werkausgaben:
Sämtliche Werke. Band 1 – 8. Hrsg. von Otto Nöldeke, München 1943;
Sämtliche Briefe. Kommentierte Ausgabe... Hannover 1968/69.
Die Bildergeschichten. Historisch-kritische Ausgabe. Band 1 – 3.
Bearbeitet von Hans Ries unter Mitarbeit von Ingrid Haberland, im
Auftrag der Wilhelm-Busch-Gesellschaft herausgegeben von Herwig
Guratzsch und Hans Joachim Neyer. Hannover 2002.
Über Wilhelm Busch:
Joseph Kraus: Wilhelm
Busch in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1970.
Gerd Ueding: Wilhelm Busch. Das 19. Jahrhundert en miniature.
Frankfurt/Main 1977.
Wilhelm Busch: Lebenszeugnisse. Aus der Sammlung des
Wilhelm-Busch-Museums Hannover. Hrsg. von Herwig Guratzsch. Stuttgart
1987.
Herbert Günther: Der Versteckspieler. Die Lebensgeschichte des Wilhelm
Busch. Weinheim 2002.
Zur
Auswahl
|