Axel Kahrs 

" So so, ganz gut, 
doch hie und da beschädigt"

Johann Peter Eckermann

Geboren am 21. September 1792 in Winsen an der Luhe, 
gestorben am 3. Dezember 1854 in Weimar

"Sekretär" – das war das Schlimmste, was man zu und über Johann Peter Eckermann sagen konnte, schlimmer noch als all der Schimpf und Hohn, den er ertragen mußte, seit er Goethes –  ja, was war er denn nun? Die Philologie hat im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von Berufsbezeichnungen und Begriffen bemüht, um das komplizierte, Missdeutungen geradezu provozierende Verhältnis zwischen dem Weimarer Olympier Goethe und dem Hausierersohn aus der 

 Elbmarsch zu umschreiben: "Hausgenosse und Hausfreund", klingt es fast anrüchig, objektiver, aber auch nicht treffend: "Sachwalter, Nachlassverwalter, Herausgeber, Redakteur und Bibliothekar", nebulöser dann: "Trabant, Verehrer, Anreger, Musterjünger, Sprachrohr", literarische Bezüge klingen schließlich im Begriff "Famulus" an.
Jüngst erweiterte der Goethe-Biograph Klaus Seehafer die Reihe mit "Prototyp eines Literatur-Dieners". (Der Eckermann-Forscher Walter Gröll, der diese Liste zusammenstellte, vermerkt, dass Eckermann auf Grund seiner Tätigkeit als "Mairie-Secretaire" während der Franzosenzeit in Meyers Lexikon von 1875 fälschlich als "Marinesekretär" fungierte.) Schmerzhaft war Heines Spott über den "Goethepapagei", eine Tiermetapher, zu der auch Goethe in einer milderen Fassung griff, als er Eckermann mit einer Ameise verglich, die seine Gedichte
zusammenschleppe, schließlich das Stigma der Herkunft: "Der Wildling aus der Lüneburger Heide".
Genug also, um einen Schleier der scheinbar treffenden Zitate, Abwertungen und Würdigungen um den Weg eines vielseitigen, gleichwohl gebrochenen Menschen zu legen, so dass jeder, der auch nur ein wenig über Eckermann gelesen hat, schnell fertig ist mit seinem Urteil über die augenscheinliche Liebedienerei, Ausbeutung und Hörigkeit, über Mittelmaß und Scheitern. Daraus erwuchsen Klischees und Schablonen, erst die letzten Jahre brachten vorsichtige Neubewertungen, frei von Goethe-Kult und nationalem Pathos, aber auch frei von billigem Spott: Zeit also, sich Eckermanns Leben und Werk ohne Vorurteile zu nähern.
Eckermanns Biographen sehen seine erste Begegnung mit Goethe im Jahre 1823 als den Dreh- und Angelpunkt seines Lebens, wobei die Vor-Weimar-Jahre eher als zu vernachlässigende Größe lange im Dunklen blieben. Das paßt zu der gängigen Ansicht, dass Eckermann erst im Schatten Goethes zu dem wurde, was er später war. Ändert man jedoch die Perspektive, überlegt also, was Goethe seinerzeit an dem jungen Mann fand, der da zum zweiten Mal vor seiner Tür stand, ergibt sich ein anderes Bild.
In den Unterlagen, die Eckermann im Jahre 1821 mit der Bitte zur Begutachtung nach Weimar sendet, findet Goethe neben den Gedichten auch dessen "Übersicht meines Lebensganges", später wird sie in den "Gesprächen" in erweiterter Fassung an den Anfang gestellt. Nun ist zu fragen, was Goethe diesen Schilderungen, in der Post von 1823 um die "Beyträge zur Poesie mit besonderer Hinweisung auf Goethe" erweitert, zu seinem Nutzen und für seine Interessen entnahm.
Zunächst tritt ihm hier ein junger Mensch entgegen, der die Herkunft aus einem einfachen Elternhaus in Winsen an der Luhe keineswegs leugnet und das Hausiererdasein seines Vaters, den er tagelang an der Elbe und in der Heide begleitete, als erkenntnisfördernd darstellt. Goethe schätzte Menschen, die sich aus eigener Kraft, mit viel Disziplin, Ausdauer und Selbstvertrauen herangebildet hatten. Die bittere Kinderzeit des von ihm geschätzten Kunsthistorikers Johann Joachim Winckelmann aus Stendal war ihm ebenso geläufig wie die armselig-zerrüttete Jugend des Schriftstellerfreundes Karl-Philipp Moritz, den er wie einen Bruder geliebt hatte: "Von derselben Art, nur da vom Schicksal verwahrlost und beschädigt, wo ich begünstigt und vorgezogen bin" (Goethes Brieftagebuch v. 14. 12. 1786). 
In welchem Licht wird Goethe da Eckermanns Lebenslauf gelesen und später genauer  erkundet haben, wie wird er reagiert haben auf die Auslassungen des 1792 Geborenen, auf die Erwähnung der ersten gelungenen Zeichnungen, auf die Förderung des hochbegabten Kindes, das, um den Eltern zu helfen, die Schule schwänzen muß und erst durch den Winsener Superintendenten Parisius systematische Förderung erfährt? Man ahnt, welchen Wert der Hinweis für Goethe gehabt hat, dass der Abbruch des Gymnasialunterrichts in Hannover auf "physische Überlastung" zurückzuführen war und dass der von Goethe geschätzte Maler Johann Heinrich Ramberg ("ein höchst erfreuliches Talent") Eckermann unterwies, der aber bald –  wie Goethe vorher auch –  die Grenzen seiner zeichnerischen Begabung erkannte und sich in der intensiven Lektüre Theodor Körner, Friedrich Schiller und Friedrich Gottlieb Klopstock, dann aber immer mehr den Schriften des Weimarer Abgotts zuwandte ("Ich genoß [...] dabei ein Glück, das keine Worte schildern").

Vor Goethe baute sich allmählich das Porträt eines jungen, energischen, sich selbst in die Zucht nehmenden Literatur-Enthusiasten auf, der die Teilnahme an den Befreiungskriegen nutzte, um jenseits des Rheins die Bilder der geliebten Holländischen Schule zu studieren: "Hier ging mir eine neue Welt auf" –  wieviele Parallelen auf einmal im Verhalten der beiden: Goethe in Italien, Eckermann in Flandern und Brabant! Und zu guter Letzt das Joch der Verwaltung, das Goethe, dem ehemaligen Minister, Juristen, Schauspielleiter und Bergwerksdirektor nur zu gut vertraut ist. Er erfährt, dass auch Eckermann als "Mairie-Secretaire" in Lüneburg, Uelzen und Bad Bevensen von 1810 bis 1813 mehr als einfache Schreib- und Kopistendienste leistete. Sein Zeugnis weist aus, dass Eckermann "dem ihm anvertrauten Dienst und allen damit verbundenen Geschäften mit ausgezeichnetem Eifer und Tätigkeit vorgestanden" sei, besonders sein Einsatz nach dem Stadtbrand in Bevensen dürfte Goethe an seine ersten Jahre in Weimar vor der Kulisse des abgebrannten Schlosses erinnert haben. Nimmt man Eckermanns Wechsel vom ungeliebten Göttinger Jura- zum Literaturstudium (was Goethe ebenfalls aus eigenen Erfahrungen in Leipzig, Straßburg und Wetzlar sehr vertraut war) und seinen ersten, selbstfinanzierten, und mit über 350 Subskribenten erfolgreichen Gedichtband hinzu, so erscheint das Gefallen Goethes an Eckermann folgerichtig und einleuchtend. Die Gemeinsamkeiten in den Interessen und Anlagen sowie die Unterschiede in Herkunft und Ausbildung eröffnen die Möglichkeit einer Zusammenarbeit: "Nun beobachte ich längst einen
jungen Eckermann aus Hannover, der mir viel Zutrauen einflößt", schreibt Goethe an Cotta am Tag nach der ersten Begegnung mit Eckermann, und die wie selbstverständliche Zielgerichtetheit, mit der das Weimarer Wohn- und Arbeitsverhältnis danach aufgebaut und gefestigt wird, spricht Bände. Willi Winkler hat in seinem Eckermann-Artikel auf die Lage Goethes im Jahre 1823 hingewiesen: "Der Witwer Goethe war dazumal der Ernährer eines größeren Hausstandes. Schwiegertochter Ottilie flirtete zuviel mit fremden Männern, vernachlässigte die Kinder und noch mehr den Mann. August von Goethe, alkohol- und vaterkrank, machte sich mit ziemlichen Fleiß zum Weimarer Gespött." Und in diesen Verhältnissen bemüht sich der 74-jährige Goethe bei den Verlegern Brockhaus und Cotta um die Ausgabe seiner gesammelten Werke, will "Faust II", will "Dichtung und Wahrheit" vollenden –  es fehlt ein feinsinniger, umsichtiger, erfahrener, verwaltungstechnisch versierter und gleichwohl literarisch bewanderter Fachmann, möglichst ungebunden und jung –  es fehlt Eckermann.
Wer sich anhand des vorzüglichen Registers aus der Hand Fritz Bergemanns durch die beiden Bände der "Gespräche" navigiert, der findet unter "Goethes Verhältnis zu Eckermann" die folgenden Einträge: persönlich anteilnehmend, aufmunternd, anspornend, neckend, ratend, warnend (vor Alkohol und Heirat), scheltend, verstehend, sachlich anerkennend, lobend, dankend, interessiert und teilnehmend. Was sich hier als harmonische Kooperation unter strenger Beachtung der Hierarchie darstellt, ist mehr als das gewesen und dazu in vieler Hinsicht
einmalig. Siegfried Unseld hat in seiner Studie "Goethe und seine Verleger" die vielschichtige Struktur des Arbeitsprozesses im Haus am Frauenplan dargestellt. Dabei steht Eckermann "an der Spitze der Mitarbeiterpyramide", weit über den anfangs zitierten Sekretären und Schreibern wie John, Kräuter oder Schuchardt (die in den Werkstunden arbeiteten und dementsprechend bezahlt wurden). Unseld nennt sie alle den "Goethe-Rat" nennt und zählt zu ihnen auch die – mit Goethes eigenen Worten – "vorzüglichen Männer" und "fleißigen, wohlmeinenden Gehülfen" Göttling, Riemer, Meyer und Soret.

Eckermann opfert in diesem Rat im wahrsten Sinne des Wortes seine Unabhängigkeit. Er stellt sich ganz in den Dienst des verehrten Dichters, unterbezahlt, aber umsorgt und geachtet. So geht der Doktortitel aus Jena auf Goethes Wirken zurück. Die Forschung verzeichnet ca. 1000 Besuche Eckermanns im Haus am Frauenplan in den neun Jahren der Zusammenarbeit ("oft nur alle acht Tage, [...] oft auch jeden Tag", so Eckermann rückblickend). Goethes neuer Vertrauter arbeitet intensiv an der "Ausgabe letzter Hand": er "sammelt, sondert, ordnet und weiß den Dingen mit großer Liebe etwas abzugewinnen", so Goethe, nicht ohne dann sehr deutlich den Abstand herzustellen: "Ihn interessiert, was für mich kein Interesse mehr hat." Hinzu kommen die Mitarbeit an der Zeitschrift "Chaos", dessen Redakteurin Ottilie war, das Verfassen und Redigieren von Festschriften und Jubiläumskantaten, die von Goethe gewünschte Begleitung des Sohnes August auf der Italien-Reise 1830 sowie Tätigkeiten in der Bibliothek. Nach Goethes Tod wird er (bezahlter) Herausgeber des Nachlasses. Weitere von ihm betreute Werk-Ausgaben erscheinen.
Die Verlobte Johanne Bertram, immer mehr zweifelnd, wartet jahrelang im fernen Königreich Hannover. Der Haushalt Eckermanns, vollgestellt mit den Volieren des Vogelliebhabers, verkommt. Als Johanna 1831 endlich in Weimar einzieht, bleiben ihr nur drei, von Goethe nicht wahrgenommene Lebensjahre, ehe sie im Kindbett stirbt. Ihr Sohn Karl wird später ein von Preller ausgebildeter erfolgreicher Maler. Eckermanns eigene lyrische Produktion erlischt für Jahre bis auf ein paar Gelegenheitsgedichte (wie jene an die zeitweilige Geliebte Auguste Kladzig), und der von Goethe vermittelte Englisch-Unterricht vermag die anfallenden Lebenshaltungskosten auch kurzfristig nicht zu decken, zumal Goethe jeden Versuch Eckermanns, sich freier, selbständiger zu machen, geschickt zum eigenen Nutzen unterläuft. Lediglich ein paar Reisen bringen Abstand (unter anderem nach Hannover, Hamburg, Bremen, Kiel, später Helgoland, Höxter und Norderney). Doch immer wieder kehrt Eckermann, auch "körperlich-seelischen Krisen" trotzend, nach Weimar zurück. Hier wird er in den letzen Lebensjahren bis zu seinem Tode 1854 als eine Art Fossil aus der untergegangenen Goethe-Zeit geduldet, belächelt, ja verspottet. Juristische Streitereien mit seinem Verlag über die "Gespräche" (Eckermann plante insgesamt vier Bände) verdüstern seinen Lebensabend. Schulden und Krankheiten wiegen die Zufriedenheit mit einigen geglückten Altersgedichten nicht auf. Hans Peter Renfranz hat in seiner Erzählung "Eckermann feiert Goethes 100. Geburtstag"(1990) festgehalten, wie es damals gewesen sein mag.
Was lesenswert blieb und bleibt, sind die "Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens", die 1836 erschienen. Früh schon, im Februar 1824, hatte Eckermann sein väterlich-beratendes Vorbild darüber unterrichtet, dass er Aufzeichnungen von den gemeinsamen Unterhaltungen mache, und Goethe, der die im Aufbau begriffene Forschung über sich und sein Werk mit Nachdruck unterstützte, da er ja "sich selbst historisch geworden" war, nutzte die Gelegenheit, einen ergebenen Biographen aus erster Hand mit Informationen und Sentenzen zu versehen. Die beidseitig ergiebige Zusammenarbeit mündete in jenen "Gesprächen", vor denen Nietzsche (verräterisch in der Frage der Autorschaft) fragte: "Wenn man von Goethes Schriften absieht und namentlich von Goethes (!) Unterhaltungen mit Eckermann, dem besten deutschen Buche, das es gibt: was bleibt eigentlich von der deutschen Prosaliteratur übrig, das verdiente, wieder und wieder gelesen zu werden?" Das Lob der Literaten war zahlreich; "herrlich", schrieb Varnhagen von Ense, den die Lektüre zu Tränen rührte, Berthold Auerbach fand ein "Heiligthum" vor und Heinrich Laube zählte die Gespräche "zum Besten unsrer Literatur". Sogar Heinrich Heine konnte ein "wahrhaft pomadiges, besänftigendes Vergnügen" nicht leugnen.

Die Goethe-Philologie hat derweil das subjektive Vorgehen Eckermanns herausgearbeitet, hat seine Eitelkeiten, die kleinen Irrtümer und die großen Fehler nachgewiesen, ohne grundsätzlich den literarischen Reiz und dokumentarischen Wert der "Gespräche" in Frage zustellen, die mehr als nur ein früher "Phonograph" des Dichters sind. Der Publikumserfolg, anfangs zur großen Enttäuschung des Verfassers ausgeblieben, kam erst in den Jahren nach Eckermanns Tod: über 115 Auflagen und zahlreiche Übersetzungen sind seitdem von den "Gesprächen" erschienen, "die das Glück meines Lebens machen und meinen Namen über ganz Europa mit Ehren verbreiten werden" (Eckermann an Johanne Bertram). 
Die Ehre, die der Winsener hier seiner Frau und sich verspricht, kam spät und zögerlich. Auch sein Geburtsort wartete lange Zeit, ehe er sich des nunmehr großen Sohnes besann. Was war zu bewahren von ihm, welche Bezüge gab es zu dem Fortgegangenen, dem andernorts berühmt Gewordenen? Regionalforscher wie Martin und Jürgen Peter Ravens, Walter Gröll und Günther Hagen fanden heraus, dass Eckermann die Heimat auch in Weimar nie vergaß oder verleugnete –  schwer genug angesichts der damals grassierenden Antipathie gegenüber der Lüneburger Heide.

Lesenswert bleibt so auch das 1837 vollendete Gedicht "Die Heimath", nach Ernst Beutler "Eckermanns schönste dichterische Leistung", Goethe las noch die ersten Strophen in der Zeitschrift "Chaos". Ein Großteil der Verse behandelt Hamburg, aber auch die Elbtallandschaft, Bardowick, Winsen und zum resignativ gefärbten Schluß die heimatliche Luhe: "Ich sah den Rhein, die Maas, der Nordsee Welle / Du flossest ruhig fort an kleiner Stelle. / Wie zu beneiden scheinet mir dein Loos! / Was hab ich denn erreicht? –  Doch laß mich schweigen." Winsen hat im 20. Jahrhundert Eckermann Reverenz erwiesen: zwei große Ausstellungen und Kataloge (1967 und 1992), eine Eckermann-Abteilung im Schloß-Museum, ein Forschungs-Archiv, die Gedenktafel am Nachfolgebau des Hauses seiner Kindheit in der Schmiedestraße 17 (das nicht mehr existente Geburtshaus stand in der Marktstraße 18) und ein Denkmal am Markt sind sichtbare Zeichen. Die Realschule trägt seinen Namen, und im Sitzungssaal des Stadtrats  hängt Karl Eckermanns Gemälde "Alpenlandschaft". Aber die schönste, wenn auch ein wenig spöttisch ausgefallene Würdigung der Kinder- und Hütejahre bleibt der Schüttelreim des Insel-Verlegers Anton Kippenberg: "Auf Winsen sich die Ruhe legt. / Kein Windeshauch die Luhe regt. / Da hebt Gemuh, Gemecker an: / Die Herde heim treibt Eckermann". Einen wenn auch nur direkten Bezug seiner Heimat zur Weltliteratur konnte Eckermann bewirken, als er nach einer Reise im Jahre 1826 mit seinem Schwager, dem Wasserbauingenieur Christian Bertram aus Bleckede, Goethe auftragsgemäß von der Überflutung der Elblandschaft und den Regulierungsmaßnahmen berichtete. (In Bleckede führt folgerichtig ein ausgeschilderter "Eckermann-Weg" am Schloß vorbei zur Elbe.) Goethe, der damals bekannte, Eckermann sei "vorzüglich Ursache, daß ich den Fausten fortsetze", hat die wasserbautechnischen Informationen zur "Deichdefension" und zur Landgewinnung eingehend studiert. Sie fanden Eingang in sein Drama um das "freie Volk auf freiem Grund", und vielleicht liest sich die betreffende Szene in der Tragödie zweitem Teil mit dieser realistischen Grundlage anders noch als bisher? An Eckermanns Wirkungsstätten erinnert in Empelde (Ronnenberg) bei Hannover, wo Eckermann 1822/23 bei seinem Freund von Heimburg wohnte und seine "Beiträge zur Poesie" schrieb, eine Gedenktafel am Haus in der Nenndorfer Straße, und Bevensen benannte eine Straße nach ihm; der Amtssitz zur Franzosenzeit in Bevensen-Medingen ist fast unverändert erhalten. Wenig freundlich gingen die Kollegen, die Dichter und Literaten, mit Eckermann um. Von Heines Verdikt ausgehend, der ihn "auf der Grenze des Lächerlichen" sah, spult sich eine beständige Reihe literarischer Auseinandersetzungen mit Eckermann bis in die Gegenwart ab. Nachdem Arnold Zweig mit der Erzählung "Der Gehilfe" 1916 den literarischen Auftakt machte, folgten Bühnenstücke, biographische Romane, Novellen u.a. von Ludwig Bäte, Mary Lavater-Sloman und Louis Fürnberg. Eine differenziert-mitfühlende Erzählstudie lieferte Jutta Hecker 1961 in ihrer Novelle "Im Schatten Goethes", wohingegen Martin Walsers Stück "In Goethes Hand" (1982 u. 84) ein prominentes Beispiel für die deutliche Distanz zum aufopfernden Diener gibt, dem er tragikomische Züge attestiert und – in einer Traumszene – durch Goethe Schmeichelei  und Unvermögen vorwerfen läßt. Das Publikum, so eine Kritik, war "sichtlich amüsiert". Auch das Schau-/Hörspiel "Eckermann und sein Goethe. Getreu nach der Quelle" (1982, neu hg. 1994) von Eckhard Henscheid und Bernd Eilert von der "Neuen Frankfurter Schule" versucht die ironische Brechung dadurch, dass der in den "Gesprächen mit Goethe" zuweilen vorherrschende altväterliche Ton "komprimiert, kompiliert und kombiniert" wurde (so die Vorbemerkung). Jens Sparschuh schlüpft in seinem Roman "Der große Coup. Aus den geheimen Tage- und Nachtbüchern des Johann Peter Eckermann" (1987, neu 1996), in die Rolle des zürnenden Eckermanns:
"Nur wer Goethe so liebte wie ich, wird auch den Haß verstehen können, der mitunter aus den nachfolgenden Zeilen sprechen mag." Die Tendenz zur Schlüssellochperspektive und das Herauskehren des Privat-Intimen brachten auch die DDR-Autoren Erich Loest ("Die Stasi war mein Eckermann". Biographie 1991) und Wolf Biermann dazu, Eckermann als Synonym für die Schnüffeleien der "Staatssicherheit" zu (miß-)deuten: "Worte, die sonst wärn verscholln / bannt ihr fest auf Tonbandrolln... / dankbar rechne ich euchs an: / die Stasi ist mein Ecker / die Stasi ist mein Eckermann".
Ob der reale Eckermann oder der erdichtete Famulus Wagner bei Goethe und Faust, ob Papageno bei Mozart oder Sancho Pansa bei Don Quichotte: Sie alle machen in ihrer menschlichen Durchschnittlichkeit die Größe derer deutlicher, denen sie dienen oder nahe stehen. Sie ziehen den Spott magisch an, laden ein zur Karikatur vor der Folie des Übermächtigen. Christian Morgenstern notierte in seinem Tagebuch: "Nichts kann mich mehr aufbringen, als wie allezeit hier und dort über den Eckermann geredet wird. Immer ist ein halb mitleidiges Lächeln dabei". Man definiert sich selbst durch die sichtbar gemachte Distanz zu ihm und zitiert gern Goethe mit der rhetorischen Frage, ob man Hammer oder Amboß sein wolle. Eckermann war der von Goethe "Geschlagene". Sein Anteil war das Aufarbeiten, das Reagieren, sein Nachteil das Mitmachen ohne Mitsteuern, sein Vorteil die einmalige, unwiederbringliche Nähe zu einem großen Dichter, die seine Bücher unersetzliche Quellen werden ließen. Im Alter hat Johann Peter Eckermann im Gedicht "Die Heimath" den Lauf seines Lebens gedeutet: "Du siehst mich, wie nach langer Fahrt ein Schiff, / So so, ganz gut, doch hie und da beschädigt. / Bald war ich fest auf schnödem Sand und Riff, / Bald aller Not durch günst´ge Flut entledigt. / Ergriffen bald von Stürmen rauh und wild, / Meeresstille dann. - Dies meines Lebens Bild."


Werke:  

Gedichte. (Selbstverlag), Hannover 1821.
Beyträge zur Poesie mit besonderer Hinweisung auf Goethe. Stuttgart 1824.
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens 1823 - 1832. 1. und 2.
Teil in einem Band, Leipzig 1836; Gespräche..., 3. Teil Magdeburg 1848.
Gedichte. Leipzig 1838.
Ausgewählte Gedichte. Winsen/Luhe 1992 (= Winsener Hefte. Literarische Mosaiksteinchen).

 

Zu den besten derzeit lieferbaren Leseausgaben der "Gespräche mit Goethe" gehören die des Deutschen Klassikerverlages (hrsg. von Christoph  Miches und Hans Grüters) und  des Insel-Verlages (hrsg. von Fritz Bergemann).

 

Über Johann Peter Eckermann:

Julius Petersen: Die Entstehung der Eckermannschen Gespräche und ihre Glaubwürdigkeit. Frankfurt a. M. 1925 (Neudruck: Hildesheim 1973).
Johann Peter Eckermann. Leben im Spannungsfeld Goethes. Hrsg. vom Goethe-Nationalmuseum. Weimar 1995.



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