Elbmarsch zu umschreiben: "Hausgenosse und
Hausfreund", klingt es fast anrüchig, objektiver, aber
auch nicht treffend: "Sachwalter, Nachlassverwalter,
Herausgeber, Redakteur und Bibliothekar", nebulöser dann:
"Trabant, Verehrer, Anreger, Musterjünger, Sprachrohr", literarische Bezüge klingen schließlich im
Begriff "Famulus" an.
Jüngst erweiterte der Goethe-Biograph Klaus Seehafer die Reihe
mit "Prototyp eines Literatur-Dieners". (Der Eckermann-Forscher Walter
Gröll,
der diese Liste zusammenstellte, vermerkt, dass Eckermann auf Grund seiner Tätigkeit
als "Mairie-Secretaire" während der Franzosenzeit in
Meyers Lexikon von 1875 fälschlich als "Marinesekretär" fungierte.)
Schmerzhaft war Heines Spott über den "Goethepapagei", eine Tiermetapher, zu der auch
Goethe in einer milderen Fassung griff, als er Eckermann mit einer Ameise verglich, die
seine Gedichte
zusammenschleppe, schließlich das Stigma der
Herkunft: "Der Wildling aus der Lüneburger Heide".
Genug also, um einen Schleier der scheinbar treffenden Zitate,
Abwertungen und Würdigungen um den Weg eines vielseitigen, gleichwohl
gebrochenen Menschen zu legen, so dass jeder, der auch nur ein wenig über
Eckermann gelesen hat, schnell fertig ist mit seinem Urteil über die
augenscheinliche Liebedienerei, Ausbeutung und Hörigkeit, über
Mittelmaß und Scheitern. Daraus erwuchsen Klischees und Schablonen,
erst die letzten Jahre brachten vorsichtige Neubewertungen, frei von
Goethe-Kult und nationalem Pathos, aber auch frei von billigem Spott:
Zeit also, sich Eckermanns Leben und Werk ohne Vorurteile zu nähern.
Eckermanns Biographen sehen seine erste Begegnung mit Goethe im Jahre
1823 als den Dreh- und Angelpunkt seines Lebens, wobei die
Vor-Weimar-Jahre eher als zu vernachlässigende Größe lange im Dunklen
blieben. Das paßt zu der gängigen Ansicht, dass Eckermann erst im
Schatten Goethes zu dem wurde, was er später war. Ändert man jedoch
die Perspektive, überlegt also, was Goethe seinerzeit an dem jungen
Mann fand, der da zum zweiten Mal vor seiner Tür stand, ergibt sich ein
anderes Bild.
In den Unterlagen, die Eckermann im Jahre 1821 mit der Bitte zur
Begutachtung nach Weimar sendet, findet Goethe neben den Gedichten auch
dessen "Übersicht meines Lebensganges", später wird sie in
den "Gesprächen" in erweiterter Fassung an den Anfang
gestellt. Nun ist zu fragen, was Goethe diesen Schilderungen, in der
Post von 1823 um die "Beyträge zur Poesie mit besonderer
Hinweisung auf Goethe" erweitert, zu seinem Nutzen und für seine
Interessen entnahm.
Zunächst tritt ihm hier ein junger Mensch entgegen, der die Herkunft
aus einem einfachen Elternhaus in Winsen an der Luhe keineswegs leugnet
und das Hausiererdasein seines Vaters, den er tagelang an der Elbe und
in der Heide begleitete, als erkenntnisfördernd darstellt. Goethe schätzte
Menschen, die sich aus eigener Kraft, mit viel Disziplin, Ausdauer und
Selbstvertrauen herangebildet hatten. Die bittere Kinderzeit des von ihm geschätzten
Kunsthistorikers Johann Joachim Winckelmann aus Stendal war ihm ebenso
geläufig wie die armselig-zerrüttete Jugend des Schriftstellerfreundes
Karl-Philipp Moritz, den er wie einen Bruder geliebt hatte: "Von
derselben Art, nur da vom Schicksal verwahrlost und beschädigt, wo ich
begünstigt und vorgezogen bin" (Goethes Brieftagebuch v. 14. 12.
1786).
In welchem Licht wird Goethe da Eckermanns Lebenslauf gelesen und später
genauer erkundet haben, wie wird er reagiert haben auf die
Auslassungen des 1792 Geborenen, auf die Erwähnung der ersten
gelungenen Zeichnungen, auf die Förderung des hochbegabten Kindes, das, um den Eltern zu helfen, die
Schule schwänzen muß und erst durch den Winsener Superintendenten
Parisius systematische Förderung erfährt? Man ahnt, welchen Wert der
Hinweis für Goethe gehabt hat, dass der Abbruch des Gymnasialunterrichts in Hannover auf
"physische Überlastung" zurückzuführen war und dass der von
Goethe geschätzte Maler Johann Heinrich Ramberg ("ein höchst
erfreuliches Talent") Eckermann unterwies, der aber bald – wie
Goethe vorher auch – die
Grenzen seiner zeichnerischen Begabung erkannte und sich in der
intensiven Lektüre Theodor Körner, Friedrich Schiller und Friedrich
Gottlieb Klopstock, dann aber immer mehr den Schriften des Weimarer Abgotts zuwandte ("Ich genoß [...] dabei ein Glück,
das keine Worte schildern").
Vor Goethe
baute sich allmählich das Porträt eines jungen, energischen, sich
selbst in die Zucht nehmenden Literatur-Enthusiasten auf, der die
Teilnahme an den Befreiungskriegen nutzte, um jenseits des Rheins die
Bilder der geliebten Holländischen Schule zu studieren: "Hier ging
mir eine neue Welt auf" – wieviele
Parallelen auf einmal im Verhalten der beiden: Goethe in Italien,
Eckermann in Flandern und Brabant! Und zu guter Letzt das Joch der
Verwaltung, das Goethe, dem ehemaligen Minister, Juristen,
Schauspielleiter und Bergwerksdirektor nur zu gut vertraut ist. Er erfährt,
dass auch Eckermann als "Mairie-Secretaire" in Lüneburg,
Uelzen und Bad Bevensen von 1810 bis 1813 mehr als einfache Schreib- und
Kopistendienste leistete. Sein Zeugnis weist aus, dass Eckermann
"dem ihm anvertrauten Dienst und allen damit verbundenen Geschäften
mit ausgezeichnetem Eifer und Tätigkeit vorgestanden" sei,
besonders sein Einsatz nach dem Stadtbrand in Bevensen dürfte Goethe an
seine ersten Jahre in Weimar vor der Kulisse des abgebrannten Schlosses
erinnert haben. Nimmt man Eckermanns Wechsel vom ungeliebten Göttinger
Jura- zum Literaturstudium (was Goethe ebenfalls aus eigenen Erfahrungen
in Leipzig, Straßburg und Wetzlar sehr vertraut war) und seinen ersten,
selbstfinanzierten, und mit über 350 Subskribenten erfolgreichen Gedichtband hinzu, so
erscheint das Gefallen Goethes an Eckermann folgerichtig und
einleuchtend. Die Gemeinsamkeiten in den Interessen und Anlagen sowie
die Unterschiede in Herkunft und Ausbildung eröffnen die Möglichkeit
einer Zusammenarbeit: "Nun beobachte ich längst einen
jungen Eckermann aus Hannover, der mir viel Zutrauen einflößt",
schreibt Goethe an Cotta am Tag nach der ersten Begegnung mit Eckermann,
und die wie selbstverständliche Zielgerichtetheit, mit der das Weimarer
Wohn- und Arbeitsverhältnis danach aufgebaut und gefestigt wird, spricht Bände.
Willi Winkler hat in seinem Eckermann-Artikel auf die Lage Goethes im
Jahre 1823 hingewiesen: "Der Witwer Goethe war dazumal der Ernährer
eines größeren Hausstandes. Schwiegertochter Ottilie flirtete zuviel mit fremden Männern,
vernachlässigte die Kinder und noch mehr den Mann. August von Goethe,
alkohol- und vaterkrank, machte sich mit ziemlichen Fleiß zum Weimarer
Gespött." Und in diesen Verhältnissen bemüht sich der 74-jährige
Goethe bei den Verlegern Brockhaus und Cotta um die Ausgabe seiner
gesammelten Werke, will "Faust II", will "Dichtung und
Wahrheit" vollenden – es fehlt ein feinsinniger, umsichtiger, erfahrener,
verwaltungstechnisch versierter und gleichwohl literarisch bewanderter
Fachmann, möglichst ungebunden und jung – es
fehlt Eckermann.
Wer sich anhand des vorzüglichen Registers aus der Hand Fritz
Bergemanns durch die beiden Bände der "Gespräche" navigiert,
der findet unter "Goethes Verhältnis zu Eckermann" die
folgenden Einträge: persönlich anteilnehmend, aufmunternd, anspornend,
neckend, ratend, warnend (vor Alkohol und Heirat), scheltend,
verstehend, sachlich anerkennend, lobend, dankend, interessiert und
teilnehmend. Was sich hier als harmonische Kooperation unter strenger
Beachtung der Hierarchie darstellt, ist mehr als das gewesen und dazu in
vieler Hinsicht
einmalig. Siegfried Unseld hat in seiner Studie "Goethe und seine
Verleger" die vielschichtige Struktur des Arbeitsprozesses im Haus
am Frauenplan dargestellt. Dabei steht Eckermann "an der Spitze der
Mitarbeiterpyramide", weit über den anfangs zitierten Sekretären
und Schreibern wie John, Kräuter oder Schuchardt (die in den
Werkstunden arbeiteten und dementsprechend bezahlt wurden). Unseld nennt
sie alle den "Goethe-Rat" nennt und zählt zu ihnen auch die
– mit Goethes eigenen Worten – "vorzüglichen Männer" und
"fleißigen, wohlmeinenden Gehülfen" Göttling, Riemer, Meyer
und Soret.
Eckermann
opfert in diesem Rat im wahrsten Sinne des Wortes seine Unabhängigkeit.
Er stellt sich ganz in den Dienst des verehrten Dichters, unterbezahlt,
aber umsorgt und geachtet. So geht der Doktortitel aus Jena auf Goethes
Wirken zurück. Die Forschung verzeichnet ca. 1000 Besuche Eckermanns im
Haus am Frauenplan in den neun Jahren der Zusammenarbeit ("oft nur
alle acht Tage, [...] oft auch jeden Tag", so Eckermann rückblickend).
Goethes neuer Vertrauter arbeitet intensiv an der "Ausgabe letzter
Hand": er "sammelt, sondert, ordnet und weiß den Dingen mit
großer Liebe etwas abzugewinnen", so Goethe, nicht ohne dann sehr
deutlich den Abstand herzustellen: "Ihn interessiert, was für mich
kein Interesse mehr hat." Hinzu kommen die Mitarbeit an der
Zeitschrift "Chaos", dessen Redakteurin Ottilie war, das
Verfassen und Redigieren von Festschriften und Jubiläumskantaten, die
von Goethe gewünschte Begleitung des Sohnes August auf der
Italien-Reise 1830 sowie Tätigkeiten in der Bibliothek. Nach Goethes
Tod wird er (bezahlter) Herausgeber des Nachlasses. Weitere von ihm
betreute Werk-Ausgaben erscheinen.
Die Verlobte Johanne Bertram, immer mehr zweifelnd, wartet jahrelang im
fernen Königreich Hannover. Der Haushalt Eckermanns, vollgestellt mit
den Volieren des Vogelliebhabers, verkommt. Als Johanna 1831 endlich in
Weimar einzieht, bleiben ihr nur drei, von Goethe nicht wahrgenommene
Lebensjahre, ehe sie im Kindbett stirbt. Ihr Sohn Karl wird später ein
von Preller ausgebildeter erfolgreicher Maler. Eckermanns eigene
lyrische Produktion erlischt für Jahre bis auf ein paar
Gelegenheitsgedichte (wie jene an die zeitweilige Geliebte Auguste
Kladzig), und der von Goethe vermittelte Englisch-Unterricht vermag die
anfallenden Lebenshaltungskosten auch kurzfristig nicht zu decken, zumal
Goethe jeden Versuch Eckermanns, sich freier, selbständiger zu machen,
geschickt zum eigenen Nutzen unterläuft. Lediglich ein paar Reisen
bringen Abstand (unter anderem nach Hannover, Hamburg, Bremen, Kiel, später
Helgoland, Höxter und Norderney). Doch immer wieder kehrt Eckermann,
auch "körperlich-seelischen Krisen" trotzend, nach Weimar zurück.
Hier wird er in den letzen Lebensjahren bis zu seinem Tode 1854 als eine
Art Fossil aus der untergegangenen Goethe-Zeit geduldet, belächelt, ja
verspottet. Juristische Streitereien mit seinem Verlag über die
"Gespräche" (Eckermann plante insgesamt vier Bände) verdüstern
seinen Lebensabend. Schulden und Krankheiten wiegen die Zufriedenheit
mit einigen geglückten Altersgedichten nicht auf. Hans Peter Renfranz
hat in seiner Erzählung "Eckermann feiert Goethes 100.
Geburtstag"(1990) festgehalten, wie es damals gewesen sein mag.
Was lesenswert blieb und bleibt, sind die "Gespräche mit Goethe in
den letzten Jahren seines Lebens", die 1836 erschienen. Früh
schon, im Februar 1824, hatte Eckermann sein väterlich-beratendes
Vorbild darüber unterrichtet, dass er Aufzeichnungen von den
gemeinsamen Unterhaltungen mache, und Goethe, der die im Aufbau
begriffene Forschung über sich und sein Werk mit Nachdruck unterstützte,
da er ja "sich selbst historisch geworden" war, nutzte die
Gelegenheit, einen ergebenen Biographen aus erster Hand mit
Informationen und Sentenzen zu versehen. Die beidseitig ergiebige
Zusammenarbeit mündete in jenen "Gesprächen", vor denen
Nietzsche (verräterisch in der Frage der Autorschaft) fragte:
"Wenn man von Goethes Schriften absieht und namentlich von Goethes
(!) Unterhaltungen mit Eckermann, dem besten deutschen Buche, das es
gibt: was bleibt eigentlich von der deutschen Prosaliteratur übrig, das
verdiente, wieder und wieder gelesen zu werden?" Das Lob der
Literaten war zahlreich; "herrlich", schrieb Varnhagen von
Ense, den die Lektüre zu Tränen rührte, Berthold Auerbach fand ein
"Heiligthum" vor und Heinrich Laube zählte die Gespräche
"zum Besten unsrer Literatur". Sogar Heinrich Heine konnte ein
"wahrhaft pomadiges, besänftigendes Vergnügen" nicht
leugnen.
Die
Goethe-Philologie hat derweil das subjektive Vorgehen Eckermanns
herausgearbeitet, hat seine Eitelkeiten, die kleinen Irrtümer und die
großen Fehler nachgewiesen, ohne grundsätzlich den literarischen Reiz
und dokumentarischen Wert der "Gespräche" in Frage zustellen,
die mehr als nur ein früher "Phonograph" des Dichters sind.
Der Publikumserfolg, anfangs zur großen Enttäuschung des Verfassers
ausgeblieben, kam erst in den Jahren nach Eckermanns Tod: über 115
Auflagen und zahlreiche Übersetzungen sind seitdem von den "Gesprächen"
erschienen, "die das Glück meines Lebens machen und meinen Namen
über ganz Europa mit Ehren verbreiten werden" (Eckermann an
Johanne Bertram).
Die Ehre, die der Winsener hier seiner Frau und sich verspricht, kam spät
und zögerlich. Auch sein Geburtsort wartete lange Zeit, ehe er sich des
nunmehr großen Sohnes besann. Was war zu bewahren von ihm, welche Bezüge
gab es zu dem Fortgegangenen, dem andernorts berühmt Gewordenen?
Regionalforscher wie Martin und Jürgen Peter Ravens, Walter Gröll und
Günther Hagen fanden heraus, dass Eckermann die Heimat auch in Weimar
nie vergaß oder verleugnete – schwer
genug angesichts der damals grassierenden Antipathie gegenüber der Lüneburger
Heide.
Lesenswert
bleibt so auch das 1837 vollendete Gedicht "Die Heimath", nach
Ernst Beutler "Eckermanns schönste dichterische Leistung",
Goethe las noch die ersten Strophen in der Zeitschrift
"Chaos". Ein Großteil der Verse behandelt Hamburg, aber auch
die Elbtallandschaft, Bardowick, Winsen und zum resignativ gefärbten
Schluß die heimatliche Luhe: "Ich sah den Rhein, die Maas, der
Nordsee Welle / Du flossest ruhig fort an kleiner Stelle. / Wie zu
beneiden scheinet mir dein Loos! / Was hab ich denn erreicht? – Doch laß mich schweigen." Winsen hat im 20. Jahrhundert
Eckermann Reverenz erwiesen: zwei große Ausstellungen und Kataloge
(1967 und 1992), eine Eckermann-Abteilung im Schloß-Museum, ein
Forschungs-Archiv, die Gedenktafel am Nachfolgebau des Hauses seiner
Kindheit in der Schmiedestraße 17 (das nicht mehr existente Geburtshaus
stand in der Marktstraße 18) und ein Denkmal am Markt sind sichtbare
Zeichen. Die Realschule trägt seinen Namen, und im Sitzungssaal des
Stadtrats hängt Karl Eckermanns Gemälde
"Alpenlandschaft". Aber die schönste, wenn auch ein wenig spöttisch
ausgefallene Würdigung der Kinder- und Hütejahre bleibt der Schüttelreim
des Insel-Verlegers Anton Kippenberg: "Auf Winsen sich die Ruhe
legt. / Kein Windeshauch die Luhe regt. / Da hebt Gemuh, Gemecker an: /
Die Herde heim treibt Eckermann". Einen wenn auch nur direkten
Bezug seiner Heimat zur Weltliteratur konnte Eckermann bewirken, als er
nach einer Reise im Jahre 1826 mit seinem Schwager, dem
Wasserbauingenieur Christian Bertram aus Bleckede, Goethe auftragsgemäß
von der Überflutung der Elblandschaft und den Regulierungsmaßnahmen
berichtete. (In Bleckede führt folgerichtig ein ausgeschilderter
"Eckermann-Weg" am Schloß vorbei zur Elbe.) Goethe, der
damals bekannte, Eckermann sei "vorzüglich Ursache, daß ich den
Fausten fortsetze", hat die wasserbautechnischen Informationen zur
"Deichdefension" und zur Landgewinnung eingehend studiert. Sie
fanden Eingang in sein Drama um das "freie Volk auf freiem
Grund", und vielleicht liest sich die betreffende Szene in der Tragödie
zweitem Teil mit dieser realistischen Grundlage anders noch als bisher?
An Eckermanns Wirkungsstätten erinnert in Empelde (Ronnenberg) bei
Hannover, wo Eckermann 1822/23 bei seinem Freund von Heimburg wohnte und
seine "Beiträge zur Poesie" schrieb, eine Gedenktafel am Haus
in der Nenndorfer Straße, und Bevensen benannte eine Straße nach ihm;
der Amtssitz zur Franzosenzeit in Bevensen-Medingen ist fast unverändert
erhalten. Wenig freundlich gingen die Kollegen, die Dichter und
Literaten, mit Eckermann um. Von Heines Verdikt ausgehend, der ihn
"auf der Grenze des Lächerlichen" sah, spult sich eine beständige
Reihe literarischer Auseinandersetzungen mit Eckermann bis in die
Gegenwart ab. Nachdem Arnold Zweig mit der Erzählung "Der
Gehilfe" 1916 den literarischen Auftakt machte, folgten Bühnenstücke,
biographische Romane, Novellen u.a. von Ludwig Bäte, Mary
Lavater-Sloman und Louis Fürnberg. Eine differenziert-mitfühlende Erzählstudie
lieferte Jutta Hecker 1961 in ihrer Novelle "Im Schatten
Goethes", wohingegen Martin Walsers Stück "In Goethes
Hand" (1982 u. 84) ein prominentes Beispiel für die deutliche
Distanz zum aufopfernden Diener gibt, dem er tragikomische Züge
attestiert und – in einer Traumszene – durch Goethe Schmeichelei und
Unvermögen vorwerfen läßt. Das Publikum, so eine Kritik, war
"sichtlich amüsiert". Auch das Schau-/Hörspiel
"Eckermann und sein Goethe. Getreu nach der Quelle" (1982, neu
hg. 1994) von Eckhard Henscheid und Bernd Eilert von der "Neuen
Frankfurter Schule" versucht die ironische Brechung dadurch, dass
der in den "Gesprächen mit Goethe" zuweilen vorherrschende
altväterliche Ton "komprimiert, kompiliert und kombiniert"
wurde (so die Vorbemerkung). Jens Sparschuh schlüpft in seinem Roman
"Der große Coup. Aus den geheimen Tage- und Nachtbüchern des
Johann Peter Eckermann" (1987, neu 1996), in die Rolle des zürnenden
Eckermanns:
"Nur wer Goethe so liebte wie ich, wird auch den Haß verstehen können,
der mitunter aus den nachfolgenden Zeilen sprechen mag." Die
Tendenz zur Schlüssellochperspektive und das Herauskehren des
Privat-Intimen brachten auch die DDR-Autoren Erich Loest ("Die
Stasi war mein Eckermann". Biographie 1991) und Wolf Biermann dazu,
Eckermann als Synonym für die Schnüffeleien der
"Staatssicherheit" zu (miß-)deuten: "Worte, die sonst wärn
verscholln / bannt ihr fest auf Tonbandrolln... / dankbar rechne ich
euchs an: / die Stasi ist mein Ecker / die Stasi ist mein
Eckermann".
Ob der reale Eckermann oder der erdichtete Famulus Wagner bei Goethe und
Faust, ob Papageno bei Mozart oder Sancho Pansa bei Don Quichotte: Sie
alle machen in ihrer menschlichen Durchschnittlichkeit die Größe derer
deutlicher, denen sie dienen oder nahe stehen. Sie ziehen den Spott
magisch an, laden ein zur Karikatur vor der Folie des Übermächtigen.
Christian Morgenstern notierte in seinem Tagebuch: "Nichts kann
mich mehr aufbringen, als wie allezeit hier und dort über den Eckermann
geredet wird. Immer ist ein halb mitleidiges Lächeln dabei". Man
definiert sich selbst durch die sichtbar gemachte Distanz zu ihm und
zitiert gern Goethe mit der rhetorischen Frage, ob man Hammer oder Amboß
sein wolle. Eckermann war der von Goethe "Geschlagene". Sein
Anteil war das Aufarbeiten, das Reagieren, sein Nachteil das Mitmachen
ohne Mitsteuern, sein Vorteil die einmalige, unwiederbringliche Nähe zu
einem großen Dichter, die seine Bücher unersetzliche Quellen werden
ließen. Im Alter hat Johann Peter Eckermann im Gedicht "Die
Heimath" den Lauf seines Lebens gedeutet: "Du siehst mich, wie
nach langer Fahrt ein Schiff, / So so, ganz gut, doch hie und da beschädigt.
/ Bald war ich fest auf schnödem Sand und Riff, / Bald aller Not durch
günst´ge Flut entledigt. / Ergriffen bald von Stürmen rauh und wild,
/ Meeresstille dann. - Dies meines Lebens Bild."
Werke:
Gedichte.
(Selbstverlag), Hannover 1821.
Beyträge zur Poesie mit besonderer Hinweisung auf Goethe. Stuttgart
1824.
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens 1823 - 1832.
1. und 2.
Teil in einem Band, Leipzig 1836; Gespräche..., 3. Teil Magdeburg 1848.
Gedichte. Leipzig 1838.
Ausgewählte Gedichte. Winsen/Luhe 1992 (= Winsener Hefte. Literarische
Mosaiksteinchen).
Zu den besten derzeit lieferbaren Leseausgaben der "Gespräche mit
Goethe" gehören die des Deutschen Klassikerverlages (hrsg. von
Christoph Miches und Hans
Grüters) und des
Insel-Verlages (hrsg. von Fritz Bergemann).
Über Johann Peter Eckermann:
Julius Petersen: Die Entstehung der Eckermannschen Gespräche und ihre Glaubwürdigkeit. Frankfurt a. M. 1925 (Neudruck: Hildesheim 1973).
Johann Peter Eckermann. Leben im Spannungsfeld Goethes. Hrsg. vom Goethe-Nationalmuseum. Weimar 1995.
Zur
Auswahl
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