Peter Gerdes

 „Ja, Zuckererbsen für jedermann“

Heinrich Heine

Geboren am 13. Dezember (?) 1797 in Düsseldorf,
gestorben am 17. Februar 1856 in Paris


Verletzter Rebell

Bilder. Zum Beispiel das von Isidor Popper, Öl auf Leinwand. Ein Mann undefinierbaren Alters, Frisur und Jacke unbestimmt im diffus braunen Hintergrund verschwimmend, blickt am Betrachter vorbei. Was, der? Sicher, unsympathisch sieht er nicht aus, auch nicht dumm. Aber Heine? Solch ein geschliffener Geist hinter derart biederer Stirn?
Zum Beispiel die Federzeichnung, die den 

Titel meiner Ausgabe des „Buchs der Lieder“ ziert. Hoher Kragen, gewelltes Haar, schmale Augen, ein junger Mann, den rechten Arm auf eine Lehne und den Kopf seitlich in die Hand gestützt. Eindeutig derselbe Mann wie auf Poppers Ölbild, die Ähnlichkeit ist sogar frappierend, die Wirkung aber ganz anders. Versonnen blickt er, distanziert. Verletzt? Beobachten ist seine Rolle, auf Taten weist nichts hin. Zärtlichkeit und Zweifel will ich ihm glauben. Wo aber verbirgt er die Kraft?
Zum Beispiel das Heine-Porträt von Gottlieb Gassen, wiederum Öl. Teufel auch, was für ein Blick! Wieder vorbei am Betrachter, aber eindeutig zielgerichtet. Respektlos, revolutionär. Charismatisch. Und ja, eindeutig verletzt. Hier hat einer empfangen, jetzt will er austeilen, und er weiß, wie er die Hiebe zu setzen hat. „Alt-Deutschland, wir weben dein Leichentuch, / Wir weben hinein den dreifachen Fluch.“ Dieses Porträt könnte man einem Zug Aufständischer vorantragen, damit könnte man Mauern plakatieren wie mit dem Bildnis Ché Guevaras. Warum eigentlich hat man das nicht getan?
Zum Beispiel die Kreide-Skizze von unbekannter Hand, datiert auf den 19. Februar 1847. Aufrecht die Gestalt, in einen kurzen Mantel gehüllt, der Kopf leicht geneigt, die Finger der rechten Hand suchen Wange und Kinn. Fast abgewandt das Gesicht. Ein Gehstock lugt unten hervor. Von Würde will dieses Bild sprechen. Tatsächlich aber sagt es: Schmerz.
Zum Beispiel der Bleistiftskizze von Ernst Benedikt Kietz, 1851. Hohle Wangen, fast geschlossene Augen, ganz Kopf, der Körper kaum mehr angedeutet. Die Zeit in der Matratzengruft. Leid.
Zuletzt die Totenmaske. „Solche Masken verleiden uns die Erinnerung an unsere Lieben“, hat Heine in den „Florentinischen Nächten“ geschrieben. „Wir glauben, in diesem Gipse sei noch etwas von ihrem Leben enthalten, und was wir darin aufbewahrt haben, ist doch ganz eigentlich der Tod selbst.“ Gehört hat man nicht auf ihn, hat trotzdem auch von ihm einen solchen Abdruck genommen. Er hat es auch nicht anders erwartet, hat nicht wirklich geglaubt, dass man sich nach ihm richtet. Ein Denkmal in Düsseldorf wollte er, ansonsten hat er mit allzu viel Wirkung über den Tod hinaus nicht gerechnet. Womit Heinrich Heine dieses eine Mal tatsächlich etwas zu skeptisch gewesen wäre.


Zärtlicher Zweifler

„Das vorweggenommene Beispiel des modernen Menschen“ sei er gewesen, schwärmt Heinrich Mann von Heinrich Heine: „Er hatte schon damals die uns gewohnte Geisteshaltung, er war sachlich bei aller seiner Phantasie, scharf zugleich und zärtlich, ein Zweifler, doch tapfer. Aus seinen Schmerzen machte er nicht nur kleine Lieder. Er machte daraus auch Erkenntnisse, die noch nicht üblich waren, und Rufe einer Menschenstimme, die wie aus unserer Mitte kommt.“
Seiner Zeit voraus sein – ein hohes Lob, ein hartes Los, bisweilen ein schreckliches Schicksal. Nicht nur „damals“, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Anderssein ist wie Aussatz in einer auf Anpassung ausgerichteten Gesellschaft, bedeutet permanenten Selbstverschleiß in der Widerborstigkeit gegen die normative Macht der Verhältnisse. Das erfordert Kraft, auf Dauer die Kräfte eines Riesen.
Sicher, Spaß machen kann es auch, der Stachel zu sein im feisten, faulen Fleisch der Zufriedenheit, für eine Weile. Vor allem, wenn einer den richtigen Kopf hat für seinen Trotz und richtig Erfolg mit der Feder. So wie Heinrich Heine in seiner Zeit, der er in vielem voraus war.
Aber eben nicht in allem. Vor allem nicht in seinen Themen. Heines Zeit war die der Restauration. Sein demonstratives Weltbürgertum, seine unverhüllte Abneigung gegen Nationalismus, Provinzialismus und Kleinstaaterei brachten ihn bald ins Fadenkreuz zeitgenössischer Staatsschützer. Die dachten und funktionierten auch nicht viel anders als ihre Kollegen heute, und sie hatten ihre Möglichkeiten. Druck, Zensur, Publikationsverbot, dann Konfiskation und Vernichtung der Schriften Heines durch seinen ehemaligen Schulfreund, den preußischen Kultusminister Karl Otto von Raumer, schließlich sogar ein Haftbefehl – da blieb nur das Exil.


Der Riese und die Mutter

„Kann man denn das Vaterland an den Schuhsohlen mitnehmen?“ fragt Georges-Jacques Danton. Der französische Revolutionsführer verweigerte seinerzeit das Exil – und wurde 1794 hingerichtet. Heine zog aus Dantons Schicksal nicht nur eine lebenslange und freiheitserhaltende Lehre, er verarbeitete es auch im Caput XIX seines Reisebildes „Deutschland – Ein Wintermärchen“:


  Oh, Danton, du hast dich sehr geirrt
        Und mußtest den Irrtum büßen!
        Mitnehmen kann man das Vaterland
        An den Sohlen, an den Füßen.

Natürlich nicht, ohne die Tragik ironisch zu brechen und einen Pfeil auf die deutsche Provinz abzuschießen:

        Das halbe Fürstentum Bückeburg
        Blieb mir an den Stiefeln kleben;
        So lehmichte Wege habe ich wohl
        Noch nie gesehen im Leben.

Wer aber spottet, dem ist es meistens ernst. So zieht Heine gleich in Caput I des „Wintermärchens“ den Vergleich zu Antaios, jenem Riesen aus der griechischen Mythologie, der immer dann neue Kräfte gewinnt, wenn er die Erde, seine Mutter, berührt:

          Seit ich auf deutsche Erde trat,
          durchströmen mich Zaubersäfte –
          Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
          Und es wuchsen ihm neue Kräfte.

1844 schrieb Heine diese Zeilen; sein Exil währte zu diesem Zeitpunkt bereits 13 Jahre. Trotz aller guten Kontakte zur Pariser Gesellschaft und Kulturszene, trotz der glücklichen Verbindung mit seiner späteren Frau Mathilde – es waren harte Jahre. Der Verlust der sprachlichen Wurzeln, mehr noch: der ureigenen Sprach- und Wirkgemeinschaft ist schmerzhaft für jeden Schriftsteller. Nicht selten lebensgefährlich für den Menschen, oft tödlich für seine Kunst. Mancher schon verstummte im Exil.
Antaios, so heißt es, wurde von Herakles besiegt. Der durchschaute den Zusammenhang von Ursprung und Kraft und hob den Riesen empor, so dass er den Erdboden nicht mehr berühren konnte; da war es um seine Kraft geschehen.
Heine dürfte sich im Exil ganz ähnlich gefühlt haben wie Antaios im Griff des Herakles. Aber er resignierte nicht, sondern suchte sich eine neue Kraftquelle. Und abermals bemühte er das Bild des antiken Riesen:

„Wie aber der Riese Antaios unbezwingbar stark blieb, wenn er mit dem Fuße die Mutter Erde berührte, und seine Kraft verlor, sobald ihn Herkules in die Höhe hub, ist auch der Dichter gewaltig, solange er nicht den Boden der Wirklichkeit verlässt, und er wird ohnmächtig, sobald er schwärmerisch in der blauen Luft umherschwebt.“

Ein frühes Bekenntnis zum Realismus? Ein Hieb – und nicht nur ein seitwärts geführter – gegen verstiegene Romantiker allemal. Und gleich noch einer, aus dem „Wintermärchen“:

   Franzosen und Russen gehört das Land
   Das Meer gehört den Briten;
   Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
   Die Herrschaft unbestritten.

 

Heinrich Mann gefällt vor allem, wie Heine Gefühl und Vernunft, Schwärmerei und Realismus unter einen Hut bringt und wie er seine Leser lehrt, Herz und Verstand gleichermaßen einzusetzen:

„Die Jünglinge, viele Geschlechter der Jungen, sind mit seinen [Heines, d.V.] Gedichten aufgewachsen. Sie haben ihn schwärmerisch geliebt, wenn dies ihre Natur war; und selbst die zaghaften oder trockenen Herzen hat er etwas ahnen lassen von der Macht des Gefühls. Die Geister aber lehrte er die Kraft, es zu beherrschen. Seine Ironie, seine Leidenschaften haben beide an der innersten Erziehung der jugendlichen Lebensschüler mitgebildet durch alle diese Jahrzehnte."


Kreidebuchstaben auf brauner Türe

Nein, ein geborener Kämpfer war Heine nicht. Jedenfalls nicht durch Geburt zum Kämpfen verurteilt. Mitten im Zeitalter der Revolutionen verlebte er in Düsseldorf eine glückliche Kindheit, eine unbeschwerte Schulzeit. Sein Vater war der jüdische Textilkaufmann Samson Heine, dessen Familie ursprünglich aus Hannover stammte und später in Hamburg ansässig gewesen war; seine Mutter Betty entstammte der angesehenen Düsseldorfer Hofbankiersfamilie van Geldern.
Die Heines waren nicht nur wohlhabend, Träger dieses Namens galten auch als wagemutig, emanzipatorisch, philantropisch. Eine Familie also, wie geschaffen für die Residenz am Niederrhein, die kulturell aufgeschlossen war und in Fragen des Glaubens tolerant. Kein Wunder, dass die Stadt Düsseldorf in den Erinnerungen ihres spöttischen Sohnes gut wegkommt:

"Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Mute. [...] Dieses Haus [Heines Geburtshaus, d.V.] wird einst sehr merkwürdig sein, und der alten Frau, die es besitzt, habe ich sagen lassen, dass sie bei Leibe das Haus nicht verkaufen solle. Für das ganze Haus bekäme sie jetzt doch kaum so viel wie schon allein das Trinkgeld betragen wird, das einst die grünverschleierten, vornehmen Engländerinnen dem Dienstmädchen geben, wenn es ihnen die Stube zeigt, worin ich das Licht der Welt erblickt, und den Hühnerwinkel, worin mich Vater gewöhnlich einsperrte, wenn ich Trauben genascht, und auch die braune Türe, worauf Mutter mich die Buchstaben mit Kreide schreiben lehrte – ach Gott! Madame, wenn ich ein berühmter Schriftsteller werde, so hat das meiner armen Mutter genug Mühe gekostet."

Nicht eben mühevoll, aber auch nicht gradlinig verläuft Heines Jugend, sein Weg aus der Kindheit in die Erwachsenenwelt. 14 Jahre ist er alt, als er den Einzug Napoleon Bonapartes in Düsseldorf miterlebt. Heftig entflammt er für die Idee der Freiheitskriege – aber nur kurz, denn die französische Besatzung hat für die Gesetzgebung und damit für die jüdische Minderheit höchst positive Folgen. Lange verweigerte Rechte werden plötzlich gewährt. Heine feiert Napoleon; für einen deutschen Dichter völlig untypisch und, natürlich, viel zu früh. Seiner Zeit wieder einmal voraus.
Hin und her geht es auch in Sachen Berufswahl. Zunächst soll Heine Textilkaufmann werden wie sein Vater, geht erst in Frankfurt in die Lehre, dann, 1816, nach Hamburg zu seinem Onkel Salomon, der ihn zeitlebens finanziell unterstützen und um dessen Erbe es einen zähen, unerfreulichen Streit geben wird. Bald aber entschließt sich der junge Mann, doch lieber Jura zu studieren, und immatrikuliert sich in Bonn.
Schon in Düsseldorf hatte Heine zu schreiben begonnen. Das Studium nun stiftet literarische Kontakte und eröffnete neue Möglichkeiten. In Bonn bereits lernt Heine den Romantiker August Wilhelm Schlegel kennen; es folgt der studienbedingte Wechsel nach Göttingen, dann – wegen eines Duells 1821 der Universität verwiesen – nach Berlin, wo er im Haus von Rahel Varnhagen verkehrt, Chamisso und Grabbe kennen lernt, Hegel hört.
Und auch selbst findet Heine Beachtung. Zeitschriften- und erste Buchveröffentlichungen (ab 1822) tragen ihm schnell den Ruf eines Schriftstellers von Rang ein. Bald feiert man ihn als den „deutschen Byron“. Heine startet eine Blitzkarriere – mit beiden Beinen fest in seiner Zeit. Von ausgrenzender Andersartigkeit vorerst keine Spur. Oder?
Natürlich doch. Heine weiß genau, dass er als Deutscher jüdischen Glaubens den Stempel der Andersartigkeit trägt, und kurz bevor er 1825 in Göttingen sein Jura-Studium mit der Promotion abschließt, versucht er diesen Stempelabdruck zu tilgen. Heine lässt sich taufen, und er ändert auch seinen Vornamen. Statt Harry heißt er fortan Heinrich – jetzt erst.
Genützt hat es ihm nichts. Der angestrebte Eintritt als Universitätsprofessor in den Staatsdienst bleibt ihm verwehrt, eine juristische Karriere als Syndikus oder Rechtsanwalt in Hamburg kommt nicht zustande. Gewiss eine lehrreiche Erfahrung. Die Anpassung an herrschende Verhältnisse ist eben Heines Sache nicht.


Philister wie Kot am Meer

Geboren in Düsseldorf, gestorben in Paris – wie kommen wir Niedersachsen eigentlich dazu, Heinrich Heine als einen „unserer“ Klassiker zu reklamieren? Nun ja, es gibt Berührungspunkte in seiner Biographie, keine zwingenden, aber immerhin. Der Rest ist eine Frage des Wollens.
Aus Hannover stammte des Vaters Familie ursprünglich, und nach Lüneburg zogen die Heines 1820, nachdem Samson Heine erkrankt und dadurch in finanzielle Probleme geraten war; zwei Fixpunkte, an denen die Biographie des Dichters fest mit Niedersachsen verdübelt ist. Dazu die Ferienaufenthalte auf der ostfriesischen Insel Norderney – dreifach Geschraubtes wackelt nicht. Wirklich bedeutsam für die Entwicklung Heines aber war wohl vor allem die bereits angesprochene Studienzeit in Göttingen. Auch dieser Stadt hat Heine manche Zeile gewidmet. Diese hier sind aus der „Harzreise“:

"Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht. Sie muss schon sehr lange stehen; denn ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren dort immatrikuliert und bald darauf konsiliiert wurde, hatte sie schon dasselbe graue, altkluge Aussehen [...] Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die Namen aller Studenten und ordentlichen und unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläuftig; auch sind mir in diesem Augenblick nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der Göttinger Philister muss sehr groß sein, wie Sand, oder besser gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens, mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte."

Von Göttingen aus unternimmt Heine auch seine bereits zitierte „Harzreise“, besucht bei dieser Gelegenheit Weimar und Goethe, eine – wie es heißt – wenig ergiebige Visite für beide Seiten. Eine Erfahrung, die Heine mit anderen Dichtern seiner Zeit teilt.
Dessen ungeachtet beginnt nunmehr seine schriftstellerisch erfolgreichste Zeit. Der erste Band „Gedichte“ kommt 1822 bei Maurer in Berlin heraus, die „Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo“ 1823 bei Dümmler, ebenfalls in Berlin. Die „Reisebilder“ aber, zu denen auch die „Harzreise“ gehört, erscheinen dann 1826 schon bei bei Hoffmann und Campe in Hamburg; für Heine entwickelt sich daraus ein langjähriger Zusammenarbeit zum Verleger Julius Campe, dem er im „Wintermärchen“ ein literarisches Denkmal setzen wird.
Ein Zwischenspiel bleibt die Tätigkeit als Redakteur bei Cottas „Neuen allgemeinen politischen Annalen“ in München (1928). Heine kann als freier Schriftsteller gut existieren, auch wenn die Jagd nach dem Lebensunterhalt durchaus ihren Einsatz fordert:

"Als Horaz dem Autor die berühmte Regel gab, sein Werk neun Jahre im Pult liegen zu lassen, hätte er ihm auch zu gleicher Zeit das Rezept geben sollen, wie man neun Jahre ohne Essen zubringen kann. [...] Unsere Mäcenaten [...] glauben, Autoren und Mispeln gedeihen am besten, wenn sie einige Zeit auf dem Stroh liegen, sie glauben, die Hunde taugten nicht auf der Bilder- und Gedankenjagd, wenn sie zu dick gefüttert würden, ach! Und wenn sie mal einen armen Hund füttern, so ist es der unrechte, der die Brocken am wenigsten verdient, z.B. der Dachs, der die Hand leckt, oder der winzige Bologneser, der sich in den duftigen Schoß der Hausdame zu schmiegen weiß, oder der geduldige Pudel, der eine Brotwissenschaft gelernt und apportieren, tanzen und trommeln kann [.]

Diese Sätze seien auch den heutigen Mäzenen, privaten wie öffentlichen, ins Stammbuch geschrieben. Wobei man natürlich die selbstironische Brechung nicht vergessen sollte:

"Während ich dieses schreibe, steht hinter mir mein kleiner Mops und bellt – Schweig nur, Ami, dich hab ich nicht gemeint, denn du liebst mich und begleitest deinen Herrn in Not und Gefahr und würdest sterben auf seinem Grabe, ebenso treu wie mancher andere deutsche Hund, der, in die Fremde verstoßen, vor den Toren Deutschlands liegt und hungert und wimmert – Entschuldigen Sie, Madame, daß ich eben abschweifte, um meinem armen Hunde eine Ehrenerklärung zu geben, ich komme wieder auf die Horazische Regel und ihre Unanwendbarkeit im neunzehnten Jahrhundert, wo die Poeten das Schürzenstipendium der Muse nicht entbehren können – Ma foi, Madame! ich könnte es keine vierundzwanzig Stunden, viel weniger neun Jahre aushalten, mein Magen hat wenig Sinn für Unsterblichkeit, ich hab mir's überlegt, ich will nur halb unsterblich und ganz satt werden, und wenn Voltaire dreihundert Jahre seines ewigen Nachruhms für eine gute Verdauung des Essens hingeben möchte, so biete ich das Doppelte für das Essen selbst."

Heines größter Erfolg liefert ihm beides: den vollen Magen und die literarische Unsterblichkeit. Vom "Buch der Lieder", 1827 erstmals erschienen, gibt es allein bis zu seinem Tod stattliche 13 Auflagen!


Kopf der Bewegung

Julius Campes Hamburger Verlag ist eine wichtige Bastion des „Jungen Deutschland“, der demokratischen Kräfte, die sich der Restauration entgegenstemmen. Bei Campe veröffentlichen Autoren, die nicht nur gefallen, sondern wirken wollen, die sich auch unbequemer Themen annehmen und Missstände anprangern. Ihre Literatur ist nicht mehr nur beobachtend, sie greift ein. Die Schriften Heinrich Heines allen voran. Für die Obrigkeit ist er der „Kopf der Bewegung“. Und damit steht sein Name auch ganz oben auf der Liste.

1835 spricht die Hohe Bundesversammlung ein Verbot der Werke des „Jungen Deutschland“ aus, namentlich derer von Wienbarg, Laube, Gutzkow, Mundt – und natürlich Heine. Der äußert sich mit „tiefer Betrübnis und höchster Verwunderung“:

"Sie haben mich angeklagt, gerichtet und verurteilt, ohne dass Sie mich weder mündlich noch schriftlich vernommen, ohne dass jemand mit meiner Verteidigung beauftragt worden, ohne dass irgend eine Ladung an mich ergangen. [...] Wenn Sie, meine Herren, mir nicht freies Geleit bewilligen wollen, mich vor Ihnen in Person zu verteidigen, so bewilligen Sie mir wenigstens freies Wort in der deutschen Druckwelt und nehmen Sie das Interdikt zurück, welches Sie gegen alles, was ich schreibe, verhängt haben. [...] Wenn ich mich gegen etwas verwahre, so ist es allenfalls gegen die Meinung des Publikums, welches mein erzwungenes Stillschweigen für ein Eingeständnis strafwürdiger Tendenzen oder gar für ein Verleugnen meiner Schriften ansehen könnte."

Heine, seit 1931 wegen drohender Verhaftung im Exil, verstummt nicht. Anders als ein Jahrhundert später Kurt Tucholsky, in dessen Herkunft, Leben, Werk und Wirken man manche Parallele zu Heine finden kann. Tucholsky beschränkt sich nach der Flucht nach Schweden aufs Briefe schreiben und wählt schließlich den Freitod. Heine aber taucht in die Pariser Kulturszene ein, knüpft neue Kontakte, unter anderem zu Karl Marx. Er schreibt über Kunst und Politik, publiziert, reitet Attacken gegen Ludwig Börne, wirbt für die Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland. Nein, mundtot machen lässt er sich nicht. Der Verlust der Heimat aber hat ihn doch schwer getroffen.


Ein neues Lied, ein besseres Lied

Ab 1848 verschlechtert sich Heines Gesundheitszustand zusehends. Er kann seine Wohnung nicht mehr verlassen, verliert viele seiner Kontakte, seinen Bezug zur gesellschaftlichen Realität. Die Jahre bis zu seinem Tod am 17. Februar 1856 werden ihm zur Qual. Auch das findet Niederschlag in seinem Werk. Das Bild von der „Matratzengruft“ ist ebenso schonungslos und bitter wie gelungen. Typisch Heine eben.
In den Jahren 1843 und 1844 reist Heine – der nach wie vor drohenden Verhaftung zum Trotz – noch einmal nach Deutschland. Um seine Familie zu treffen, mit seinem Verleger zu verhandeln. Und um „die Mutter zu berühren“, neue Kraft zu tanken für seinen literarischen, für seinen Lebenskampf mit den Mächten seiner Zeit.
Resultat dieser Reise: „Deutschland – Ein Wintermärchen“. Für mich die liebste unter Heines Schriften, eines der prägendsten literarischen Werke überhaupt. Weil es alles bietet, was Heine und was gute Literatur ausmacht: kunstvolle und doch klare Sprache, Herzblut und Leichtigkeit, Erfahrung und Ironie, Abgeklärtheit und Ungeduld. Hier schreibt einer, der das Beharrungsvermögen Dunkeldeutschlands zu spüren bekommen und trotzdem die Hoffnung nicht verloren hat.

Ein neues Lied, ein besseres Lied
O Freunde, will ich euch dichten
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Ach, wie er austeilt! Es ist eine Freude. Die Kleingeister bekommen ihr Fett weg, die Konservativen ebenso wie die Revolutionsromantiker. Und natürlich die Kirchen, als deren mächtigste Zwingburg des Geistes Heine den Kölner Dom aufs Korn nimmt:

Er sollte das Geistes Bastille sein
Und die klugen Römlinge dachten:
„In diesem Riesenkerker wird
die deutsche Vernunft verschmachten!“

Die deutsche Vorliebe für Führerpersönlichkeiten, ob Arminius, Barbarossa, Carolus Magnus oder Ernst August von Hannover, wird gründlich aufgespießt. Und auch vor drastischen Bildern schreckt Heine nicht zurück:

Auch einen Schweinskopf trug man auf
In einer zinnernen Schüssel;
Noch immer schmückt man den Schweinen bei uns
Mit Lorbeerblättern den Rüssel.

Auch die Selbstironie kommt nicht zu kurz. Gelegentliche Anpassung zum Selbstschutz gesteht er ein, will sie aber nicht zur zweiten Natur werden lassen:

Der Schafpelz, den ich umgehängt
Zuweilen, um mich zu wärmen,
Glaubt mir’s, er brachte mich nie dahin,
Für das Glück der Schafe zu schwärmen.

„Das nachstehende Gedicht schrieb ich im diesjährigen Monat Januar zu Paris, und die freie Luft des Ortes wehete in manche Strophe weit schärfer hinein, als mir eigentlich lieb war“, sagt Heine im Vorwort zum „Wintermärchen“, das er in Hamburg verfasste und das auf den 17. September 1844 datiert ist. Mehrfach habe er sich dem „fatalen Geschäft des Umarbeitens unterziehen“ müssen, wobei „die ernsten Töne mehr als nötig abgedämpft oder von den Schellen des Humors gar zu heiter überklingelt wurden“, ehe es zur Veröffentlichung kommen konnte. Immerhin: „Einigen nackten Gedanken habe ich in hastigem Unmut ihre Feigenblätter wieder abgerissen.“
Das Resultat, wie auch immer erzielt, rührt und rüttelt heute noch.

Ab 1848 lag er mit Rückenmarkschwindsucht in seiner "Matratzengruft". Bald konnte er kaum noch sprechen und schlucken, versuchte die Schmerzen mit Morphium zu lindern, zog sich, so lange es noch ging, auf allen Vieren durchs Zimmer. Die Freunde besuchten ihn nach wie vor, Hebbel, Dumas, Gautier, George Sand, Gérard de Nerval. Es heißt, sie verließen die Wohnung bedrückter als manches Grab. Letzte Gedichte entstanden, da war er schon zum Skelett abgemagert. Am 17. Februar 1856 hatte das Leiden ein Ende. Er wurde auf dem Friedhof Montmartre begraben, wo auch Berlioz, Degas, Fragonard, Dumas, Offenbach, Zola, Stendhal und Truffaut liegen. Was für eine illustre Gesellschaft, und warum soll es dort zu Zeiten nicht ebenso lustig zugehen wie auf dem Père-Lachaise, wo Jim Morrison von den "Doors" liegt?

Der Schlusspunkt? Er gebührt Heinrich Heines Diesseitigkeit, für die ich ihn besonders liebe. Abermals das „Wintermärchen“, na klar, Caput I:


        Es wächst hienieden Brot genug
        Für alle Menschenkinder,
        Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
        Und Zuckererbsen nicht minder.

        Ja, Zuckererbsen für jedermann,
        Sobald die Schoten platzen!
        Den Himmel überlassen wir
        Den Engeln und den Spatzen.





Werke:
Von den derzeit lieferbaren Werkausgaben ist die bedeutsamste – freilich auch teuerste! – die historisch-kritische Gesamtausgabe im Verlag Hoffmann und Campe ("Düsseldorfer Ausgabe"). Die größte unter den "Volksausgaben" ist die vierbändige Ausgabe sämtlicher Werke nach den Ausgaben letzter Hand unter Hinzuziehung der Erstdrucke im Winkler-Verlag; die preiswerteste der vierbändige Taschenbuch-Heine im Insel-Verlag. Von den Kleinauswahlen empfiehlt sich "Lebensfahrt": hundertfünfzig Gedichte, im Aufbau Taschenbuch Verlag.

Über Heinrich Heine:
Brummack, Jürgen (Hg.): Heinrich Heine. Epoche – Werk – Wirkung. München 1980
Fingerhut, Karlheinz: Heinrich Heine – Der Satiriker. Eine Darstellung mit Texten und Erläuterungen. Stuttgart 1991
Fingerhut, Karlheinz: Heinrich Heine. 'Deutschland. Ein Wintermärchen'. Frankfurt a. M. 1992
Futterknecht, Franz: Heinrich Heine. Ein Versuch. Tübingen 1985
Grab, Walter: Heinrich Heine als politischer Dichter. Frankfurt a. M. 1992
Kraft, Werner: Heine der Dichter. München: edition text + kritik 1983
Michael, Werner: Heinrich Heine. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2002


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