Titel meiner Ausgabe
des „Buchs der Lieder“ ziert. Hoher Kragen, gewelltes Haar, schmale Augen, ein junger Mann, den rechten Arm auf eine Lehne
und den Kopf seitlich in die Hand gestützt. Eindeutig derselbe
Mann wie auf Poppers Ölbild, die Ähnlichkeit ist sogar
frappierend, die Wirkung aber ganz anders. Versonnen blickt er,
distanziert. Verletzt? Beobachten ist seine Rolle, auf Taten weist
nichts hin. Zärtlichkeit und Zweifel will ich ihm glauben. Wo aber
verbirgt er die Kraft?
Zum Beispiel das Heine-Porträt von Gottlieb Gassen, wiederum Öl.
Teufel auch, was für ein Blick! Wieder vorbei am Betrachter, aber
eindeutig zielgerichtet. Respektlos, revolutionär. Charismatisch. Und
ja, eindeutig verletzt. Hier hat einer empfangen, jetzt will er
austeilen, und er weiß, wie er die Hiebe zu setzen hat.
„Alt-Deutschland, wir weben dein Leichentuch, / Wir weben hinein den
dreifachen Fluch.“ Dieses Porträt könnte man einem Zug Aufständischer
vorantragen, damit könnte man Mauern plakatieren wie mit dem Bildnis Ché
Guevaras. Warum eigentlich hat man das nicht getan?
Zum Beispiel die Kreide-Skizze von unbekannter Hand, datiert auf den 19.
Februar 1847. Aufrecht die Gestalt, in einen kurzen Mantel gehüllt, der
Kopf leicht geneigt, die Finger der rechten Hand suchen Wange und Kinn.
Fast abgewandt das Gesicht. Ein Gehstock lugt unten hervor. Von Würde
will dieses Bild sprechen. Tatsächlich aber sagt es: Schmerz.
Zum Beispiel der Bleistiftskizze von Ernst Benedikt Kietz, 1851. Hohle
Wangen, fast geschlossene Augen, ganz Kopf, der Körper kaum mehr
angedeutet. Die Zeit in der Matratzengruft. Leid.
Zuletzt die Totenmaske. „Solche Masken verleiden uns die Erinnerung an
unsere Lieben“, hat Heine in den „Florentinischen Nächten“
geschrieben. „Wir glauben, in diesem Gipse sei noch etwas von ihrem
Leben enthalten, und was wir darin aufbewahrt haben, ist doch ganz
eigentlich der Tod selbst.“ Gehört hat man nicht auf ihn, hat
trotzdem auch von ihm einen solchen Abdruck genommen. Er hat es auch
nicht anders erwartet, hat nicht wirklich geglaubt, dass man sich nach
ihm richtet. Ein Denkmal in Düsseldorf wollte er, ansonsten hat er mit
allzu viel Wirkung über den Tod hinaus nicht gerechnet. Womit Heinrich
Heine dieses eine Mal tatsächlich etwas zu skeptisch gewesen wäre.
Zärtlicher
Zweifler
„Das vorweggenommene Beispiel des modernen Menschen“ sei er gewesen,
schwärmt Heinrich Mann von Heinrich Heine: „Er hatte schon damals die
uns gewohnte Geisteshaltung, er war sachlich bei aller seiner Phantasie,
scharf zugleich und zärtlich, ein Zweifler, doch tapfer. Aus seinen
Schmerzen machte er nicht nur kleine Lieder. Er machte daraus auch
Erkenntnisse, die noch nicht üblich waren, und Rufe einer
Menschenstimme, die wie aus unserer Mitte kommt.“
Seiner Zeit voraus sein – ein hohes Lob, ein hartes Los, bisweilen ein
schreckliches Schicksal. Nicht nur „damals“, in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts. Anderssein ist wie Aussatz in einer auf Anpassung
ausgerichteten Gesellschaft, bedeutet permanenten Selbstverschleiß in
der Widerborstigkeit gegen die normative Macht der Verhältnisse. Das
erfordert Kraft, auf Dauer die Kräfte eines Riesen.
Sicher, Spaß machen kann es auch, der Stachel zu sein im feisten,
faulen Fleisch der Zufriedenheit, für eine Weile. Vor allem, wenn einer
den richtigen Kopf hat für seinen Trotz und richtig Erfolg mit der
Feder. So wie Heinrich Heine in seiner Zeit, der er in vielem voraus
war.
Aber eben nicht in allem. Vor allem nicht in seinen Themen. Heines Zeit
war die der Restauration. Sein demonstratives Weltbürgertum, seine
unverhüllte Abneigung gegen Nationalismus, Provinzialismus und
Kleinstaaterei brachten ihn bald ins Fadenkreuz zeitgenössischer
Staatsschützer. Die dachten und funktionierten auch nicht viel anders
als ihre Kollegen heute, und sie hatten ihre Möglichkeiten. Druck,
Zensur, Publikationsverbot, dann Konfiskation und Vernichtung der
Schriften Heines durch seinen ehemaligen Schulfreund, den preußischen
Kultusminister Karl Otto von Raumer, schließlich sogar ein Haftbefehl
– da blieb nur das Exil.
Der Riese
und die Mutter
„Kann man denn das Vaterland an den Schuhsohlen mitnehmen?“ fragt
Georges-Jacques Danton. Der französische Revolutionsführer verweigerte
seinerzeit das Exil – und wurde 1794 hingerichtet. Heine zog aus
Dantons Schicksal nicht nur eine lebenslange und freiheitserhaltende
Lehre, er verarbeitete es auch im Caput XIX seines Reisebildes
„Deutschland – Ein Wintermärchen“:
Oh, Danton, du hast dich
sehr geirrt
Und mußtest den Irrtum büßen!
Mitnehmen kann man das Vaterland
An den Sohlen, an den Füßen.
Natürlich
nicht, ohne die Tragik ironisch zu brechen und einen Pfeil auf die
deutsche Provinz abzuschießen:
Das halbe Fürstentum Bückeburg
Blieb mir an den Stiefeln kleben;
So lehmichte Wege habe ich wohl
Noch nie gesehen im Leben.
Wer
aber spottet, dem ist es meistens ernst. So zieht Heine gleich in Caput
I des „Wintermärchens“ den Vergleich zu Antaios, jenem Riesen aus
der griechischen Mythologie, der immer dann neue Kräfte gewinnt, wenn
er die Erde, seine Mutter, berührt:
Seit ich auf deutsche Erde
trat,
durchströmen mich Zaubersäfte –
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
Und es wuchsen ihm neue Kräfte.
1844
schrieb Heine diese Zeilen; sein Exil währte zu diesem Zeitpunkt
bereits 13 Jahre. Trotz aller guten Kontakte zur Pariser Gesellschaft
und Kulturszene, trotz der glücklichen Verbindung mit seiner späteren
Frau Mathilde – es waren harte Jahre. Der Verlust der sprachlichen
Wurzeln, mehr noch: der ureigenen Sprach- und Wirkgemeinschaft ist
schmerzhaft für jeden Schriftsteller. Nicht selten lebensgefährlich für
den Menschen, oft tödlich für seine Kunst. Mancher schon verstummte im
Exil.
Antaios, so heißt es, wurde von Herakles besiegt. Der durchschaute den
Zusammenhang von Ursprung und Kraft und hob den Riesen empor, so dass er
den Erdboden nicht mehr berühren konnte; da war es um seine Kraft
geschehen.
Heine dürfte sich im Exil ganz ähnlich gefühlt haben wie Antaios im
Griff des Herakles. Aber er resignierte nicht, sondern suchte sich eine
neue Kraftquelle. Und abermals bemühte er das Bild des antiken Riesen:
„Wie
aber der Riese Antaios unbezwingbar stark blieb, wenn er mit dem Fuße
die Mutter Erde berührte, und seine Kraft verlor, sobald ihn Herkules
in die Höhe hub, ist auch der Dichter gewaltig, solange er nicht den
Boden der Wirklichkeit verlässt, und er wird ohnmächtig, sobald er
schwärmerisch in der blauen Luft umherschwebt.“
Ein
frühes Bekenntnis zum Realismus? Ein Hieb – und nicht nur ein seitwärts
geführter – gegen verstiegene Romantiker allemal. Und gleich noch
einer, aus dem „Wintermärchen“:
Franzosen und Russen gehört
das Land
Das Meer gehört den
Briten;
Wir aber besitzen im
Luftreich des Traums
Die Herrschaft
unbestritten.
Heinrich
Mann gefällt vor allem, wie Heine Gefühl und Vernunft, Schwärmerei
und Realismus unter einen Hut bringt und wie er seine Leser lehrt, Herz
und Verstand gleichermaßen einzusetzen:
„Die
Jünglinge, viele Geschlechter der Jungen, sind mit seinen [Heines, d.V.]
Gedichten aufgewachsen. Sie haben ihn schwärmerisch geliebt, wenn dies
ihre Natur war; und selbst die zaghaften oder trockenen Herzen hat er
etwas ahnen lassen von der Macht des Gefühls. Die Geister aber lehrte
er die Kraft, es zu beherrschen. Seine Ironie, seine Leidenschaften
haben beide an der innersten Erziehung der jugendlichen Lebensschüler
mitgebildet durch alle diese Jahrzehnte."
Kreidebuchstaben auf brauner Türe
Nein, ein geborener Kämpfer war Heine nicht. Jedenfalls nicht durch
Geburt zum Kämpfen verurteilt. Mitten im Zeitalter der Revolutionen
verlebte er in Düsseldorf eine glückliche Kindheit, eine unbeschwerte
Schulzeit. Sein Vater war der jüdische Textilkaufmann Samson Heine,
dessen Familie ursprünglich aus Hannover stammte und später in Hamburg
ansässig gewesen war; seine Mutter Betty entstammte der angesehenen Düsseldorfer
Hofbankiersfamilie van Geldern.
Die Heines waren nicht nur wohlhabend, Träger dieses Namens galten auch
als wagemutig, emanzipatorisch, philantropisch. Eine Familie also, wie
geschaffen für die Residenz am Niederrhein, die kulturell
aufgeschlossen war und in Fragen des Glaubens tolerant. Kein Wunder,
dass die Stadt Düsseldorf in den Erinnerungen ihres spöttischen Sohnes
gut wegkommt:
"Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne
an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu
Mute. [...] Dieses Haus [Heines Geburtshaus, d.V.] wird einst sehr merkwürdig
sein, und der alten Frau, die es besitzt, habe ich sagen lassen, dass
sie bei Leibe das Haus nicht verkaufen solle. Für das ganze Haus bekäme
sie jetzt doch kaum so viel wie schon allein das Trinkgeld betragen
wird, das einst die grünverschleierten, vornehmen Engländerinnen dem
Dienstmädchen geben, wenn es ihnen die Stube zeigt, worin ich das Licht
der Welt erblickt, und den Hühnerwinkel, worin mich Vater gewöhnlich
einsperrte, wenn ich Trauben genascht, und auch die braune Türe, worauf
Mutter mich die Buchstaben mit Kreide schreiben lehrte – ach Gott!
Madame, wenn ich ein berühmter Schriftsteller werde, so hat das meiner
armen Mutter genug Mühe gekostet."
Nicht eben mühevoll, aber auch nicht gradlinig verläuft Heines Jugend,
sein Weg aus der Kindheit in die Erwachsenenwelt. 14 Jahre ist er alt,
als er den Einzug Napoleon Bonapartes in Düsseldorf miterlebt. Heftig
entflammt er für die Idee der Freiheitskriege – aber nur kurz, denn
die französische Besatzung hat für die Gesetzgebung und damit für die
jüdische Minderheit höchst positive Folgen. Lange verweigerte Rechte
werden plötzlich gewährt. Heine feiert Napoleon; für einen deutschen
Dichter völlig untypisch und, natürlich, viel zu früh. Seiner Zeit
wieder einmal voraus.
Hin und her geht es auch in Sachen Berufswahl. Zunächst soll Heine
Textilkaufmann werden wie sein Vater, geht erst in Frankfurt in die
Lehre, dann, 1816, nach Hamburg zu seinem Onkel Salomon, der ihn
zeitlebens finanziell unterstützen und um dessen Erbe es einen zähen,
unerfreulichen Streit geben wird. Bald aber entschließt sich der junge
Mann, doch lieber Jura zu studieren, und immatrikuliert sich in Bonn.
Schon in Düsseldorf hatte Heine zu schreiben begonnen. Das Studium nun
stiftet literarische Kontakte und eröffnete neue Möglichkeiten. In
Bonn bereits lernt Heine den Romantiker August Wilhelm Schlegel kennen;
es folgt der studienbedingte Wechsel nach Göttingen, dann – wegen
eines Duells 1821 der Universität verwiesen – nach Berlin, wo er im
Haus von Rahel Varnhagen verkehrt, Chamisso und Grabbe kennen lernt,
Hegel hört.
Und auch selbst findet Heine Beachtung. Zeitschriften- und erste Buchveröffentlichungen
(ab 1822) tragen ihm schnell den Ruf eines Schriftstellers von Rang ein.
Bald feiert man ihn als den „deutschen Byron“. Heine startet eine
Blitzkarriere – mit beiden Beinen fest in seiner Zeit. Von
ausgrenzender Andersartigkeit vorerst keine Spur. Oder?
Natürlich doch. Heine weiß genau, dass er als Deutscher jüdischen
Glaubens den Stempel der Andersartigkeit trägt, und kurz bevor er 1825
in Göttingen sein Jura-Studium mit der Promotion abschließt, versucht
er diesen Stempelabdruck zu tilgen. Heine lässt sich taufen, und er ändert
auch seinen Vornamen. Statt Harry heißt er fortan Heinrich – jetzt
erst.
Genützt hat es ihm nichts. Der angestrebte Eintritt als Universitätsprofessor
in den Staatsdienst bleibt ihm verwehrt, eine juristische Karriere als
Syndikus oder Rechtsanwalt in Hamburg kommt nicht zustande. Gewiss eine
lehrreiche Erfahrung. Die Anpassung an herrschende Verhältnisse ist
eben Heines Sache nicht.
Philister wie Kot am Meer
Geboren in Düsseldorf, gestorben in Paris – wie kommen wir
Niedersachsen eigentlich dazu, Heinrich Heine als einen „unserer“
Klassiker zu reklamieren? Nun ja, es gibt Berührungspunkte in seiner
Biographie, keine zwingenden, aber immerhin. Der Rest ist eine Frage des
Wollens.
Aus Hannover stammte des Vaters Familie ursprünglich, und nach Lüneburg
zogen die Heines 1820, nachdem Samson Heine erkrankt und dadurch in
finanzielle Probleme geraten war; zwei Fixpunkte, an denen die
Biographie des Dichters fest mit Niedersachsen verdübelt ist. Dazu die
Ferienaufenthalte auf der ostfriesischen Insel Norderney – dreifach
Geschraubtes wackelt nicht. Wirklich bedeutsam für die Entwicklung
Heines aber war wohl vor allem die bereits angesprochene Studienzeit in
Göttingen. Auch dieser Stadt hat Heine manche Zeile gewidmet. Diese
hier sind aus der „Harzreise“:
"Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am besten, wenn
man sie mit dem Rücken ansieht. Sie muss schon sehr lange stehen; denn
ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren dort immatrikuliert und bald
darauf konsiliiert wurde, hatte sie schon dasselbe graue, altkluge
Aussehen [...] Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt
in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; welche vier Stände doch
nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der
bedeutendste. Die Namen aller Studenten und ordentlichen und
unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläuftig;
auch sind mir in diesem Augenblick nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse,
und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben.
Die Zahl der Göttinger Philister muss sehr groß sein, wie Sand, oder
besser gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens, mit
ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des
akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen,
wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte."
Von Göttingen aus unternimmt Heine auch seine bereits zitierte
„Harzreise“, besucht bei dieser Gelegenheit Weimar und Goethe, eine
– wie es heißt – wenig ergiebige Visite für beide Seiten. Eine
Erfahrung, die Heine mit anderen Dichtern seiner Zeit teilt.
Dessen ungeachtet beginnt nunmehr seine schriftstellerisch
erfolgreichste Zeit. Der erste Band „Gedichte“ kommt 1822 bei Maurer
in Berlin heraus, die „Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo“
1823 bei Dümmler, ebenfalls in Berlin. Die „Reisebilder“ aber, zu
denen auch die „Harzreise“ gehört, erscheinen dann 1826 schon bei
bei Hoffmann und Campe in Hamburg; für Heine entwickelt sich daraus ein
langjähriger Zusammenarbeit zum Verleger Julius Campe, dem er im
„Wintermärchen“ ein literarisches Denkmal setzen wird.
Ein Zwischenspiel bleibt die Tätigkeit als Redakteur bei Cottas
„Neuen allgemeinen politischen Annalen“ in München (1928). Heine
kann als freier Schriftsteller gut existieren, auch wenn die Jagd nach
dem Lebensunterhalt durchaus ihren Einsatz fordert:
"Als Horaz dem Autor die berühmte Regel gab, sein Werk neun Jahre
im Pult liegen zu lassen, hätte er ihm auch zu gleicher Zeit das Rezept
geben sollen, wie man neun Jahre ohne Essen zubringen kann. [...] Unsere
Mäcenaten [...] glauben, Autoren und Mispeln gedeihen am besten, wenn
sie einige Zeit auf dem Stroh liegen, sie glauben, die Hunde taugten
nicht auf der Bilder- und Gedankenjagd, wenn sie zu dick gefüttert würden,
ach! Und wenn sie mal einen armen Hund füttern, so ist es der unrechte,
der die Brocken am wenigsten verdient, z.B. der Dachs, der die Hand
leckt, oder der winzige Bologneser, der sich in den duftigen Schoß der
Hausdame zu schmiegen weiß, oder der geduldige Pudel, der eine
Brotwissenschaft gelernt und apportieren, tanzen und trommeln kann [.]
Diese Sätze seien auch den heutigen Mäzenen, privaten wie öffentlichen,
ins Stammbuch geschrieben. Wobei man natürlich die selbstironische
Brechung nicht vergessen sollte:
"Während ich dieses schreibe, steht hinter mir mein kleiner Mops
und bellt – Schweig nur, Ami, dich hab ich nicht gemeint, denn du
liebst mich und begleitest deinen Herrn in Not und Gefahr und würdest
sterben auf seinem Grabe, ebenso treu wie mancher andere deutsche Hund,
der, in die Fremde verstoßen, vor den Toren Deutschlands liegt und
hungert und wimmert – Entschuldigen Sie, Madame, daß ich eben
abschweifte, um meinem armen Hunde eine Ehrenerklärung zu geben, ich
komme wieder auf die Horazische Regel und ihre Unanwendbarkeit im
neunzehnten Jahrhundert, wo die Poeten das Schürzenstipendium der Muse
nicht entbehren können – Ma foi, Madame! ich könnte es keine
vierundzwanzig Stunden, viel weniger neun Jahre aushalten, mein Magen
hat wenig Sinn für Unsterblichkeit, ich hab mir's überlegt, ich will
nur halb unsterblich und ganz satt werden, und wenn Voltaire dreihundert
Jahre seines ewigen Nachruhms für eine gute Verdauung des Essens
hingeben möchte, so biete ich das Doppelte für das Essen selbst."
Heines größter Erfolg liefert ihm beides: den vollen Magen und die
literarische Unsterblichkeit. Vom "Buch der Lieder", 1827
erstmals erschienen, gibt es allein bis zu seinem Tod stattliche 13
Auflagen!
Kopf der Bewegung
Julius Campes Hamburger Verlag ist eine wichtige Bastion des
„Jungen Deutschland“, der demokratischen Kräfte, die sich der
Restauration entgegenstemmen. Bei Campe veröffentlichen Autoren, die
nicht nur gefallen, sondern wirken wollen, die sich auch unbequemer
Themen annehmen und Missstände anprangern. Ihre Literatur ist nicht
mehr nur beobachtend, sie greift ein. Die Schriften Heinrich Heines
allen voran. Für die Obrigkeit ist er der „Kopf der Bewegung“. Und
damit steht sein Name auch ganz oben auf der Liste.
1835
spricht die Hohe Bundesversammlung ein Verbot der Werke des „Jungen
Deutschland“ aus, namentlich derer von Wienbarg, Laube, Gutzkow, Mundt
– und natürlich Heine. Der äußert sich mit „tiefer Betrübnis und
höchster Verwunderung“:
"Sie haben mich angeklagt, gerichtet und verurteilt, ohne dass Sie
mich weder mündlich noch schriftlich vernommen, ohne dass jemand mit
meiner Verteidigung beauftragt worden, ohne dass irgend eine Ladung an
mich ergangen. [...] Wenn Sie, meine Herren, mir nicht freies Geleit
bewilligen wollen, mich vor Ihnen in Person zu verteidigen, so
bewilligen Sie mir wenigstens freies Wort in der deutschen Druckwelt und
nehmen Sie das Interdikt zurück, welches Sie gegen alles, was ich
schreibe, verhängt haben. [...] Wenn ich mich gegen etwas verwahre, so
ist es allenfalls gegen die Meinung des Publikums, welches mein
erzwungenes Stillschweigen für ein Eingeständnis strafwürdiger
Tendenzen oder gar für ein Verleugnen meiner Schriften ansehen könnte."
Heine, seit 1931 wegen drohender Verhaftung im Exil, verstummt nicht.
Anders als ein Jahrhundert später Kurt Tucholsky, in dessen Herkunft,
Leben, Werk und Wirken man manche Parallele zu Heine finden kann.
Tucholsky beschränkt sich nach der Flucht nach Schweden aufs Briefe
schreiben und wählt schließlich den Freitod. Heine aber taucht in die
Pariser Kulturszene ein, knüpft neue Kontakte, unter anderem zu Karl
Marx. Er schreibt über Kunst und Politik, publiziert, reitet Attacken
gegen Ludwig Börne, wirbt für die Verständigung zwischen Frankreich
und Deutschland. Nein, mundtot machen lässt er sich nicht. Der Verlust
der Heimat aber hat ihn doch schwer getroffen.
Ein neues Lied, ein besseres Lied
Ab 1848 verschlechtert sich Heines Gesundheitszustand zusehends. Er
kann seine Wohnung nicht mehr verlassen, verliert viele seiner Kontakte,
seinen Bezug zur gesellschaftlichen Realität. Die Jahre bis zu seinem
Tod am 17. Februar 1856 werden ihm zur Qual. Auch das findet
Niederschlag in seinem Werk. Das Bild von der „Matratzengruft“ ist
ebenso schonungslos und bitter wie gelungen. Typisch Heine eben.
In den Jahren 1843 und 1844 reist Heine – der nach wie vor drohenden
Verhaftung zum Trotz – noch einmal nach Deutschland. Um seine Familie
zu treffen, mit seinem Verleger zu verhandeln. Und um „die Mutter zu
berühren“, neue Kraft zu tanken für seinen literarischen, für
seinen Lebenskampf mit den Mächten seiner Zeit.
Resultat dieser Reise: „Deutschland – Ein Wintermärchen“. Für
mich die liebste unter Heines Schriften, eines der prägendsten
literarischen Werke überhaupt. Weil es alles bietet, was Heine und was
gute Literatur ausmacht: kunstvolle und doch klare Sprache, Herzblut und
Leichtigkeit, Erfahrung und Ironie, Abgeklärtheit und Ungeduld. Hier
schreibt einer, der das Beharrungsvermögen Dunkeldeutschlands zu spüren
bekommen und trotzdem die Hoffnung nicht verloren hat.
Ein
neues Lied, ein besseres Lied
O Freunde, will ich euch dichten
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Ach,
wie er austeilt! Es ist eine Freude. Die Kleingeister bekommen ihr Fett
weg, die Konservativen ebenso wie die Revolutionsromantiker. Und natürlich
die Kirchen, als deren mächtigste Zwingburg des Geistes Heine den Kölner
Dom aufs Korn nimmt:
Er
sollte das Geistes Bastille sein
Und die klugen Römlinge dachten:
„In diesem Riesenkerker wird
die deutsche Vernunft verschmachten!“
Die
deutsche Vorliebe für Führerpersönlichkeiten, ob Arminius,
Barbarossa, Carolus Magnus oder Ernst August von Hannover, wird gründlich
aufgespießt. Und auch vor drastischen Bildern schreckt Heine nicht zurück:
Auch
einen Schweinskopf trug man auf
In einer zinnernen Schüssel;
Noch immer schmückt man den Schweinen bei uns
Mit Lorbeerblättern den Rüssel.
Auch
die Selbstironie kommt nicht zu kurz. Gelegentliche Anpassung zum
Selbstschutz gesteht er ein, will sie aber nicht zur zweiten Natur
werden lassen:
Der
Schafpelz, den ich umgehängt
Zuweilen, um mich zu wärmen,
Glaubt mir’s, er brachte mich nie dahin,
Für das Glück der Schafe zu schwärmen.
„Das
nachstehende Gedicht schrieb ich im diesjährigen Monat Januar zu Paris,
und die freie Luft des Ortes wehete in manche Strophe weit schärfer
hinein, als mir eigentlich lieb war“, sagt Heine im Vorwort zum
„Wintermärchen“, das er in Hamburg verfasste und das auf den 17.
September 1844 datiert ist. Mehrfach habe er sich dem „fatalen Geschäft
des Umarbeitens unterziehen“ müssen, wobei „die ernsten Töne mehr
als nötig abgedämpft oder von den Schellen des Humors gar zu heiter überklingelt
wurden“, ehe es zur Veröffentlichung kommen konnte. Immerhin:
„Einigen nackten Gedanken habe ich in hastigem Unmut ihre Feigenblätter
wieder abgerissen.“
Das Resultat, wie auch immer erzielt, rührt und rüttelt heute noch.
Ab 1848 lag er mit Rückenmarkschwindsucht in seiner
"Matratzengruft". Bald konnte er kaum noch sprechen und
schlucken, versuchte die Schmerzen mit Morphium zu lindern, zog sich, so
lange es noch ging, auf allen Vieren durchs Zimmer. Die Freunde
besuchten ihn nach wie vor, Hebbel, Dumas, Gautier, George Sand, Gérard
de Nerval. Es heißt, sie verließen die Wohnung bedrückter als manches
Grab. Letzte Gedichte entstanden, da war er schon zum Skelett
abgemagert. Am 17. Februar 1856 hatte das Leiden ein Ende. Er wurde auf
dem Friedhof Montmartre begraben, wo auch Berlioz, Degas, Fragonard,
Dumas, Offenbach, Zola, Stendhal und Truffaut liegen. Was für eine
illustre Gesellschaft, und warum soll es dort zu Zeiten nicht ebenso
lustig zugehen wie auf dem Père-Lachaise, wo Jim Morrison von den
"Doors" liegt?
Der Schlusspunkt? Er gebührt Heinrich Heines Diesseitigkeit, für die
ich ihn besonders liebe. Abermals das „Wintermärchen“, na klar,
Caput I:
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.
Werke:
Von den derzeit lieferbaren Werkausgaben ist die bedeutsamste –
freilich auch teuerste! – die historisch-kritische Gesamtausgabe im
Verlag Hoffmann und Campe ("Düsseldorfer Ausgabe"). Die größte
unter den "Volksausgaben" ist die vierbändige Ausgabe sämtlicher
Werke nach den Ausgaben letzter Hand unter Hinzuziehung der Erstdrucke
im Winkler-Verlag; die preiswerteste der vierbändige Taschenbuch-Heine
im Insel-Verlag. Von den Kleinauswahlen empfiehlt sich
"Lebensfahrt": hundertfünfzig Gedichte, im Aufbau Taschenbuch
Verlag.
Über Heinrich Heine:
Brummack,
Jürgen (Hg.): Heinrich Heine. Epoche – Werk – Wirkung. München
1980
Fingerhut, Karlheinz: Heinrich Heine – Der Satiriker. Eine Darstellung
mit Texten und Erläuterungen. Stuttgart 1991
Fingerhut, Karlheinz: Heinrich Heine. 'Deutschland. Ein Wintermärchen'.
Frankfurt a. M. 1992
Futterknecht, Franz: Heinrich Heine. Ein Versuch. Tübingen 1985
Grab, Walter: Heinrich Heine als politischer Dichter. Frankfurt a. M.
1992
Kraft, Werner: Heine der Dichter. München: edition text + kritik 1983
Michael, Werner: Heinrich Heine. München: Deutscher Taschenbuch Verlag
2002
Zur
Auswahl
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