Wenn
man jung ist und literaturbesessen, gerät man früher oder später in
den Bannkreis eines bedeutenden Schriftstellers, deren mancher etwas so
Bezwingendes ausstrahlt, dass er ausgesprochen jüngerbildend wirkt.
Stefan George und Karl Kraus waren es zu ihrer Zeit, Arno Schmidt in der
seinen. Ihm war ich verfallen. Jahrelang. Und sann darauf, wie ich nach
meinen Kräften für jene Dichter werben konnte, die er wiederentdeckt
hatte, wie auch ich mich
beteiligen konnte am "verschränkten Ahnen=, &
Enkel=Dienst", den der Meister begonnen hatte. An die mächtigen
Erscheinungen mit Werkausgaben, die viele tausend Seiten umfaßten,
wagte ich mich nicht heran. Aber es gab einen, der nicht nur an meine
Seele gerührt hatte, sondern dessen Werk gerade mal rund 150 Seiten
umfaßte, dazu noch fünf Seiten Nachlassgedichte und eine versifizierte
Übertragung des Buches Hiob, die mich besonders faszinierte. Wer war
dieser Mann, der geschrieben hatte:
Ich
sah im stillen Traumgesicht
Ein Herz von blankem Stahl,
Das schien so rein, wie Mondenlicht,
So hell, wie Sonnenstrahl.
Ein Herzchen von Magnet erkannt'
Ich bey ihm wunderbar,
Das war durch Zauber hingebannt,
Wich von ihm nimmerdar.
[…]
Und:
war das große Dichtung? Auch nach dreißig Jahren vermag ich diese und
andere Arbeiten des Dichters nicht ohne Rührung zu lesen, wenngleich
ich heute erkenne, dass er auch in seiner Zeit schon zu den
Minderdichtern gehört haben muß. Indessen war er einer, der sich als
äußerst empfänglich für literarische Zeitströmungen erwies und außerdem
bis heute einen wunderbaren Einstieg in die von Arno Schmidt immer
wieder "fackelbeleuchtete" Welt des 18. und 19. Jahrhunderts
bietet. Wer also, frage ich nochmals, war dieser Samuel Christian Pape,
der am 22. November 1774 als zweites Kind des Wulsbütteler Pfarrers
Henrich Pape und seiner Frau Luise in Lesum zur Welt kommt? Der sich eng
an den zwei Jahre älteren Bruder Johann anschließt und zusammen mit
ihm vom Vater den ersten Unterricht erhält?
Henrich Pape war in Theologenkreisen ein bekannter Mann, gelehrt und
schreibfleißig. Seine Bibliothek umfaßte an die 3.500 Bände. Das
Schreiben muß wohl in der Familie gelegen haben: Matthias, der jüngste
Sohn, veröffentlichte fünf Bände mit Liedern, Elegien und Epigrammen;
von Johann gibt es Gelegenheitslyrik; und Samuels jüngste Tochter ist
unter dem Namen "Maria von Hadeln" mit ihren Gedichten
zeitweilig recht bekannt gewesen.
Samuel wächst in der damals üblichen Großfamilie heran. 1783 wird der
Vater nach Visselhövede im Bistum Verden versetzt. Eine Zählung drei
Jahre zuvor weist den Ort am Westrand der Lüneburger Heide mit rund 60
Feuerstellen nach. Doch wird gerade diese scheinbar so öde Gegend dem
Jungen zur prägenden Landschaft und eigentlichen Heimat, nach der er
sich später immer zurücksehnen wird. Man schildert ihn als nach innen
gekehrt, mit einem auffallenden Hang zum Alleinsein. Fouqué, sein
erster Biograph, überliefert, dass einer seiner Lieblingsspielplätze während
der Kindheit der Friedhof gewesen ist.
1785 – Samuel ist 11, Johann 13 Jahre alt, werden die beiden auf die
Bremer Domschule geschickt. Johann beginnt danach in Jena ein
Jura-Studium, Samuel wird zunächst vom Vater weiter ausgebildet. 1794
ist der große, viel entscheidende Einschnitt in seinem Leben. Der
Zwanzigjährige kommt auf die Göttinger Universität, die berühmte
Georgia. Kurz danach stirbt seine erste große Liebe. In vielen
Gedichten beschäftigt sich Pape, bei wechselndem Rollenspiel und vor
mancher Kulisse, mit dem schmerzvollen Verlust.
[…]
Und es erschien ein schwarzer Mann,
Dem ward ich bitter gram,
Als er so grausam trat heran,
Das treue Herzchen nahm,
Als er es riß mit starker Hand
Hinweg von seinem Ort,
An's goldne Herz das Herzchen band,
Und zog es mit ihm fort.
Jetzt wird auch jener Wesenszug an ihm noch stärker in Erscheinung
getreten sein, der Freunde und Verwandte oft befremdet, ja geärgert
hat: seine Melancholie, bei welcher anfänglich auch für die ihm Nächsten
schwer zu unterscheiden gewesen sein mochte, wann sie echt, wann
lustvolle Steigerung war. In Gesellschaft wird er – man schildert ihn
als gut aussehend, breitschultrig, braungelockt – immer schnell heiter
und aufgedreht, was für viele Melancholiker eigentümlich ist. Bei den
Gesprächen steht er gewiß nicht stumm daneben, denn bei der späteren
Konsistorialprüfung wird sein großes Deklamationstalent ausgesprochen
gerühmt.
In Göttingen beginnen die wenigen Jahre seines Lebens, die reich an äußerlichen
Ereignissen sind. Hier trifft er mit Literaten zusammen und beginnt
selber zu veröffentlichen. Die meisten der erhalten gebliebenen
Arbeiten entstanden in dieser Zeit. Hölty's Werke – es ist nicht zu
übersehen – muß er damals sehr geliebt haben, und den verehrten
Gottfried August Bürger hat er noch wenige Tage vor dessen Tod persönlich
kennengelernt. Prägend werden ihm auch die berühmten Göttinger
Professoren: der bucklige Lichtenberg zum Beispiel, der ein genialer
Professor für Experimentalphysik ist, Friedrich Blumenbach, Vater der
modernen Naturforschung und -geschichte, nicht zu vergessen Christian
Gottlob Heyne, der als erster eine wissenschaftliche Behandlung der
griechischen Mythen anstrebt.
Pape lernt den neuen Herausgeber des "Göttinger
Musenalmanachs", Karl Reinhard, kennen, der gerade Bürgers
geringen Nachlaß für den neuen Jahrgang publikationsfertig zu
vermehren bemüht ist. Über die erste Begegnung mit dem jungen
Studenten schreibt er später: "Nicht lange nach seiner Ankunft
schrieb er an mich, und theilte mir mehrere Gedichte mit, über welche
er mein Urtheil verlangte […] er gab sie für die Arbeit eines seiner
Bekannten aus […] Meine Antwort führte ihn zu mir und er entdeckte
sich als Verfasser der Gedichte."
Von Anfang an schlägt Pape in seinen Gedichten einen Grundton an, der
sich durch alle geübte Vielfalt der Töne, Anklänge und Versformen
zieht, Shakespeare's "sad companion, dull-ey'd melancholy",
die Wehmut. Man rechnet diese Gemütslage nicht eben zu den befreienden,
und doch erwachsen gerade aus ihr starke Kräfte, hilft sie "mit
der Schwermuth Energie", wie es in dem Gedicht "Warnung"
heißt, über Schicksalsschläge eher hinweg, als dass sie diese
vertieft.
1795 steuert Pape sechs Gedichte bei, im Jahr darauf folgt der schöpferische
Ausbruch: 23 Arbeiten verzeichnet das Werkregister; dazu beginnt er mit
seiner Prüfungsarbeit, der Übersetzung des Buches Hiob, die 1797
beendet ist.
Wohlan, belehrt mich doch! Ich will ja schweigen.
Hab' ich gefehlt, so bitt' ich, sagt mirs an!
Ich sagte wahr; wo könnt ihr Irrthum zeigen?
Was ists, worin mich einer tadeln kann?
Ihr wähnt mit Wörterschwall mich widerlegt zu haben?
Ihr achtet für ein Nichts des Dulders Klagen?
Ich weiß es wohl, ihr wollt ihn niederschlagen,
den Waisen, Gruben wollt ihr euerm Freunde graben!
So hört mich ruhig an, wenns euch gefällt!
Fürwahr! Ihr sollt mich nicht der schlechten Sache zeihn.
Antwortet nur! Ich weiß, das Recht bleibt dennoch mein,
daß meine Antwort doch den Sieg behält.
Was ich behaupten will, das sollte unrecht sein?
Sein Professor, der Orientalist Johann Gottfried Eichhorn bescheinigt
Pape im Vorwort der Buchausgabe "schätzbare Einsichten in die
beyden Sprachen, die er mit einander umzutauschen hatte". Seine Übertragung
war poetisch hinreißend und zugleich theologisch genau. Noch 1815 rühmt
sie ein Breslauer Professor in seiner Vorlesung und bedauert, dass man
so gar nicht erfahren könne, wo dieses große Genie geblieben sei.
Es war in die Anonymität des Landpfarrstandes untergetaucht.
In der vielgeltenden "Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung"
hatte August Wilhelm Schlegel am 12. Januar 1797 die ersten Versuche
Papes vernichtend besprochen, ihnen "neumodigste Empfindeley"
vorgeworfen und "Nachäfferey des altenglischen Balladentons,
reichlich mit Reminiscenzen aus Bürger untermischt". Die Kritik
verunsicherte den jungen Mann derart, dass er immer weniger veröffentlichte,
endlich nur noch für den Schreibtisch produzierte und zum Schluß alles
verbrannte. Die Besprechung Ludwig Tiecks, worin auf die "außerordentlich
schönen poetischen Züge" seiner Dichtung hingewiesen wird, hat er
leider nicht zu lesen bekommen; und sein größer Bewunderer – Fouqué
– wird erst nach Papes Tod Gelegenheit finden, sich öffentlich zu
jenem Manne zu bekennen, "dessen Liederklänge mich bereits als
Knaben mächtig erregten, so wenig des Wiederhalles auch meine Freude
und Bewunderung fand!"
Was der 23jährige noch an Reinhard schickt, drückt Mutlosigkeit,
Krankheit und Todessehnsucht aus. 1798 erscheinen noch acht Dichtungen,
das Jahr darauf fünf, dann drei; elf Jahre später ein letztes Gedicht,
das ihm nur regionales Spießbürgergezänk einträgt. Papes poetisches
Zwischenspiel ist beendet.
Der dritte, der längste und schwerste Lebensabschnitt beginnt jetzt.
Bis eine Planstelle für ihn frei ist, wird er Hauslehrer, zunächst bei
Satorius in Grasberg. Darüber schreibt er Reinhard am 15. Dezember
1797: "Seit vier Wochen ungefähr bin ich hier bei'm hiesigen
Prediger. Wir halten zusammen ein Institut für junge Bremer. Auch hier
ist dies die erste Stunde (nach Mitternacht), da ich Ihnen schreiben
kann. Häusliche Umstände zwingen mich, so lange ich hier gewesen bin,
bis jetzt, Kirche und Schule allein zu versehen […] Mein hiesiger
Aufenthalt ist sehr einsam. Ich wohne vier Stunden von Bremen, im
sogenannten Teufelsmoor. Kirche, Pfarr- und Küsterhaus stehen ganz
isoliert da. Die ganze Gemeinde ist erst seit 15 Jahren ungefähr von
dem berühmten Finndorf angelegt; die Verschiedenheit der Colonisten hat
in ihr einen artigen Weltbürger-Geist hervor gebracht."
Zwei Jahre später besteht er, nach absolviertem Praktikum, das
Predigerexamen vor dem Konsistorium in Stade. Ehrenvoll wird er in die
2. Klasse der Amtsanwärter eingestuft. Am 12. April erhält er die 2.
Predigerstelle in Nordleda, das übrigens zum Amt Otterndorf gehört, wo
Johann Heinrich Voß von 1778 bis 1782 als Lehrer mit seiner Familie
gewohnt und die "Odyssee" zu Ende übersetzt hat. Er ist aber
gern wieder fortgezogen, weil alle ständig Sumpffieber bekamen!
Zwei Monate nach der Ankunft heiratet Pape. Seine Frau wird Johanna
Lerche, die Tochter des dortigen ersten Pfarrers. Damit scheinen
freundlichere Tage für ihn zu kommen. Doch lassen sie den Unstern schon
bald erkennen: Sein erstes Kind stirbt 1804 mit einem Jahr an den
Blattern; 1805 stirbt Papes Vater, 1807 ein zweites Kind und 1808 die
25jährige Frau an der Schwindsucht. Mit zwei kleinen Kindern bleibt
Pape zurück.
Wie schon nach der heftigen Schlegel-Kritik reagiert er mit Apathie auf
den Schmerz: "Ich bin jetzt, seitdem ich Witwer bin, so äußerst
hypochondrisch, und dabei so träge und faul, als ich nie gewesen bin;
sodass ich mich kaum überwinden kann, die allernötigsten Geschäfte
abzutun", schreibt er an die Stiefmutter.
Gleich nach dem Trauerjahr verheiratet er sich erneut, wieder ist es die
Tochter eines Amtskollegen, die 22jährige Johanna Maria Elisabeth
Schneider. "Ich habe sie noch im ersten Jahre [der Amtsverwaltung]
confirmiert, und nachher [acht] Jahre lang fast einen täglichen Umgang
in ihrem Hause gehabt, und kenne sie also genau."
Je älter er wird, desto stärker muß er seinen privaten Gemütslasten
mit immer privateren Dichtungen begegnen. Die eine, spät veröffentlichte
– mit ihrer vom Dorfklatsch alsbald incriminierten Stelle "Schwer
und kalt sind hier die Herzen – zeigt, wieviel unchiffrierter er jetzt
Biographisches durchblicken läßt als früher, wo er sein Erleben
hinter einer kunstvollen Topostechnik versteckte. Immer persönlicher
wird der Charakter seiner Arbeiten; so konnte er endlich auch auf die höchstgeachtete,
die versgebundene Form verzichten, wie das einzige Prosastück zeigt,
das wir von ihm haben: "Vaterschmerz". Er schrieb ja doch
nicht mehr für die Öffentlichkeit. Es sind uns aus dieser Zeit neben
etlichen schlechten und einigen bloß liebenswerten nur noch wenige große,
gelungene Stücke überliefert. Doch aus diesen spricht noch immer alle
Kraft der zeitlos unzeitgemäßen Melancholie.
Papes Gesundheit beginnt nachzulassen. Herzasthma macht ihm das Predigen
immer schwerer. Er wird finster und niedergeschlagen. Trinken befreit
wenigstens zeitweilig von den schlimmsten schwarzen Gedanken und dem beängstigenden
Druck auf der Brust. Die "Biographischen Nachrichten von den
Predigern […] in Nordleda" vermerken dazu freilich: "Er
wollte seinen Mißmuth bei der Bouteille verscheuchen, gebrauchte aber
diese Kur zuletzt in einem solchen Unbemaße, dass er sein Leben dadurch
verkürzte." So geschrieben vom Küster und Organisten Heinrich
Beckmann, der nach Papes Tod dessen Frau heiraten sollte, wodurch manche
Anmerkung in der ungewöhnlich eingehenden Lebensbeschreibung noch
befremdlicher wirkt.
Pape wird bettlägerig. Am 4. April 1817, Johanna ist nach Otterndorf
gegangen, zieht er sich abends aus dem Bett vor den Kamin und verbrennt
Heft um Heft seine Manuskripte. Früh um ½ 6 Uhr stirbt er am Schlagfluß.
Erst im November des
folgenden Jahres erscheint, in der "Jenaischen Allgemeinen
Literaturzeitung", ein verspäteter Nachruf. Man hofft auf die
baldige Neuherausgabe seiner Gedichte. Papes jüngster Halbbruder,
Ludwig Matthias Henrich, wird 1821 – gleichzeitig mit Wilhelm Hauff
– in Tübingen immatrikuliert. Neben eigenen lyrischen Arbeiten in
dieser Zeit sammelt er zunächst einmal alles, was sich von den
Dichtungen seines Bruders finden läßt und schickt das Manuskript, mit
Anmerkungen versehen, an den berühmten Baron de la Motte Fouqué.
Dieser gibt es, mit einer liebevoll sorgfältigen biographischen Einführung,
noch im gleichen Jahr zum Osiander-Verlag nach Tübingen.
Papes Werk erreicht trotz seines Fürsprechers keine weitere Auflage
mehr. 1823 erscheinen noch 12 frühere Arbeiten, deren Manuskripte
Reinhard besaß. "Man muß es dem Hrn. von Fouqué in Berlin
endlich Dank wißen, "heißt es in einer Kritik, "dass er die
wenigen, in den Musenalmanachen hie und da zerstreuten Gedichte (es sind
darum kaum100) […] gesammelt und in einem Bändchen herausgegeben hat.
Die meisten dieser Gedichte zeichnen sich aus durch Gefühl, Andacht,
natürl. Hingebung und vor allem durch ungezwungenen claßischen
Ausdruck. Hr. Karl von Reinhard, auch zu Berlin, hat im Gesellschafter
noch einen Nachtrag ungedruckter Pape'scher Gedichte geliefert, wovon
jedoch manches weniger gelungen ist, das einzige aber, überschrieben
'Die Kleine', eine Ballade vom Jahr 1797, gewiß 2/3 der ganzen diesjährigen
Almanachspoesie aufwiegt."
Sie sei – da seit ihrem ersten Erscheinen erst einmal nachgedruckt und
formal durch die Eigenheit originell, dass der Kehrreim die Strophe
umschließt und sich je nach ihrem Inhalt ganz unterschiedlich liest –
in ganzer Länge wiedergegeben:
Die Kleine
Sie weinte bitterlich,
Die liebe, gute Kleine:
"Da geh' ich hier und weine,
Und denke nur den ganzen Tag,
Wann doch mein Wilhelm kommen mag?
Ach, käme nur ein Wandersmann,
Und sagte mir was Gutes an
Von meines Trauten Leben,
Ich wollt ihm Alles geben,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich,
und blickt' in's Feld hinüber.
Und, sieh! Da ritt vorüber
Ein Mann mit einem langen Bart,
Dass auch dem Mädlein bange ward,
Ein Jäger, blank von Haupt zu Fuß;
Der bot ihr einen schönen Gruß
So wohlgemuth und munter
Von seinem Roß herunter,
Und einen Kuß dazu.
Sie weinte bitterlich
Vor lauter Herzenssehnen;
Sie trocknete die Thränen
Mit ihrem schönen seid'nen Tuch,
Dass ihr das Herz im Busen schlug.
Da nahte sich der blanke Mann.
"Du liebe Kleine!" hub er an,
"Das Tuch kannst du mir schenken
Zum süßen Angedenken,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich:
"Ey sieh! was mich doch wundert!
Warum nicht lieber hundert?
Ein fremder Mann, ich weiß nicht, wer?
Ja, käme so mein Wilhelm her,
Und fodert's er, ich weiß nicht, was?
Und sagte mir nur Dies und Das:
Wenn er nicht haben sollte,
Was er nur haben wollte,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich.
Da hub er an: "O, weine
Nicht so, du liebe Kleine!
Sieh her! An dieser rechten Hand,
Siehst du das Ringlein mit Demant?
Das war an seinem Hochzeitstag,
Da schenkt' er mir den Ring und sprach:
Den gab mir einst im Städtchen
Ein kleines eitles Mädchen,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich:
Ey sieh! was ich wohl dächte!
Du bist mir auch der Rechte.
Ja, ja! Als er zu Felde ging,
Da gab ich ihm den schönen Ring.
Allein das Andre ist nicht wahr,
Das lügst du, Jäger, offenbar.
Du willst mich nur betrügen,
Mein schönes Tuch zu kriegen,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich.
"O doch, du liebe Kleine!
Du weißt wohl, was ich meine.
Es sind der schönen Mädchen mehr,
Die locken hin, die locken her.
Dein Trauter ist ein wack'res Blut;
Der ist den schönen Mädchen gut.
Da ließ er sich nun fangen
Durch rosenrothe Wangen,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich:
"Das hätt' er lassen müssen!
Er konnte mich ja küssen!
Nicht wahr? So hatt' er mich nur lieb,
So lang' er immer bei mir blieb!
Gewiß! Das hat er schlecht gemacht;
Das hätt' ich nimmermehr gedacht!
Da läßt er sich nun fangen
Durch rosenrothe Wangen,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich;
Sie bat ihn auf und nieder:
"Gieb mir das ringlein wieder!
Ich bitte dich, so viel ich kann,
Du lieber, lieber, schöner Mann!" –
"Nein, Mädlein, nein! Ich bin kein Thor.
Willst du, so mußt du mir zuvor
Zum süßen Angedenken
Das Tuch von Seide schenken,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich:
"Ach, hier ist was zu küssen!
Soll ich mit Thränengüssen
Dich harten Mann noch länger flehn?
So magst du meinetwegen gehen!
Ich kaufe nicht um solchen Preis:
Allein ich weiß wohl, was ich weiß:
Den Ring hast du gestohlen;
Nun willst du dies noch holen,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich.
Da bog er sich hinüber;
Die Augen gingen über,
Dass er in Thränen sich ergoß.
Er sprang herab von seinem Roß.
Herab die Maske vom Gesicht:
"Und kennst du deinen Wilhelm nicht? –
Da hast du meine Treue
Und meine Hand auf's Neue,
Und einen Kuß dazu!"
Sie weinte bitterlich.
Sie schrie vor lauter Wonne;
Die gold'ne Abendsonne
Umglänzte sie mit Himmelslicht,
Wie eines Engels Angesicht. –
Er stand nach einem halben Jahr
Mit seiner Kleinen am Altar.
Sie gab ihm, was er wollte,
Und was er haben sollte,
Und einen Kuß dazu! –
Werke:
Hiob übersetzt. Ein Versuch von Samuel Christian Pape. Begleitet
mit einer Vorrede vom Herrn Hofrath Eichhorn. Göttingen: Rosenbusch
1797.
Gedichte. Begleitet mit einem biographischen Vorworte von Friedrich
Baron de la Motte Fouqué. Tübingen: C. F. Osiander 1821.
Werke. Hrsg. von Klaus Seehafer. München: edition text + kritik 1975.
Über Samuel Christian Pape:
Arno Schmidt: Samuel Christian Pape. Vergessene Dichtung aus Moor
und Heide. (In: Die Ritter vom Geist. Von vergessenen Kollegen.
Karlsruhe: Stahlberg 1965.)
Zur
Auswahl
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