der
mich ansonsten eher weniger berührt hatte. Ein erster Blick
in verschiedene Nachschlagewerke:
„Entstammte einer ehemals leibeigenen Familie, daher zeitlebens ein
Gegner des Absolutismus [...] im Alter ein engstirniger Verfechter eines
starren Klassizismus; heftige Angriffe gegen die Heidelberger Romantiker
und Goethes Sonettendichtung. [...] Formstrenger Metriker.“ (Der
Literatur-Brockhaus, Mannheim, Leipzig, Wien 1995) – „Entstammte ärmlichen
Verhältnissen. [...] Mitglied des Hainbunds. Mitherausgeber des Göttinger
Musenalmanachs. [...] Voß´ eigentümliche dichterische Leistung liegt
[...] in seinen Idyllen mit ihren teils realistisch-naturnahen, bäuerlich-derben,
teils bürgerlich-behaglichen Zügen. [...] Die Bedeutung des Übersetzers
Voß übertraf noch die des Dichters. [...] Seine [...] Übertragung
Homers hat diesen zum geistigen Eigentum weiter Kreise in Deutschland
gemacht. [...] Die bis zur Pedanterie gehende metrische und wörtliche
Treue gegenüber dem Original führte nicht selten zu sprachlichen und
rhythmischen Gewaltsamkeiten. [...] Seine Unbeweglichkeit in Fragen der
Kunst und Religion, die sich in seiner hartnäckigen Verfechtung von
aufklärerischem Protestantismus und regelabhängigem Klassizismus
offenbarte, trug wesentlich dazu bei, dass Voß in den beiden letzten
Jahrzehnten seines Lebens mehr und mehr vereinsamte.“
(Brockhaus-Enzyklopädie, Wiesbaden 1974)
Voß war übrigens schon zu Lebzeiten im
Brockhaus-Conversationslexikon mit dem von ihm selbst verfassten "Abriß
meines Lebens“ vertreten.
Die „Deutsche Literaturgeschichte“ von Otto Mann (Gütersloh 1969)
verzeichnet Voß lediglich als Mitglied des „Göttinger Hain“ und
als Vorbild Goethes bei dessen Niederschrift von „Hermann und
Dorothea“.
Frenzels „Daten deutscher Dichtung“ (Köln 1981) stellen Voß als
einen der wichtigsten Vertreter der Epoche der Empfindsamkeit (1740 –
1780) vor. Das Wort „empfindsam“ geht übrigens auf Gotthold Ephraim
Lessing zurück, der es als Verdeutschung des englischen
„sentimental“ empfahl.
Hermann Pongs´ „Lexikon der Weltliteratur“ (Wiesbaden 1984) rühmt
Voß, „Spitzweg ein halbes Jahrhundert vorausgenommen“ zu haben,
kritisiert ihn aber gleichzeitig als „zu streng in seiner Metrik, die
selbst Goethe zu tyrannisieren vermochte.“ Voß´ eigenes Werk sei
„biederste Alltagsheiligung.“ Er „verholzte sich in Doktrinen,
auch mit seiner Hexameter-Metrik, verdarb sich sein Alter.“
Eines wird bei erster Beschäftigung mit Leben und Werk des Johann
Heinrich Voß schnell deutlich: Er war bereits zu Lebzeiten ein
hochgeehrter, anerkannter, gleichzeitig zutiefst umstrittener Poet,
Herausgeber, Übersetzer und nicht zuletzt auch Pädagoge. Ein Mann mit
deutlich sichtbaren Ecken und Kanten also, und genau dieser Umstand war
es, der endgültig mein Interesse an Johann Heinrich Voß weckte.
Goethe sagte über ihn: „Ein Mann wie Voß wird übrigens so
bald nicht wieder kommen. Es haben wenig andere auf die höhere deutsche
Cultur einen solchen Einfluss gehabt als er. Es war an ihm alles gesund
und derb, weshalb er auch zu den Griechen kein künstliches, sondern ein
rein natürliches Verhältnis hatte, woraus denn für uns andern die
herrlichsten Früchte erwachsen sind. Wer von seinem Werte durchdrungen
ist wie ich, weiß gar nicht, wie er sein Andenken würdig genug ehren
soll.“
Geboren wurde Johann Heinrich Voß am 20 Februar 1751 in Sommersdorf bei
Waren in Mecklenburg als erstes Kind des Zollverwalters, Gastwirts und
Schulmeisters Johann Heinrich Voß (1714 – 1778) und dessen späterer
Ehefrau Katharina Dorothea Carsten (1718 – 1798). Die Eltern
heirateten erst kurz nach der Geburt des ersten Sohnes. Er bekam noch
vier weitere Geschwister. Johann Heinrich Voß war der Enkel eines
freigelassenen, vormals leibeigenen Handwerkers. Auch dieser Umstand hat
in Johann Heinrich Voß möglicherweise seine lebenslange Skepsis gegenüber
Adel und jeder Art ererbter Vorrechte erwachsen lassen. Doch muss ebenso
gesagt werden, dass Voß in geordneten, wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen
aufwuchs. Sein Vater war als Gastwirt sogar zu einigem Wohlstand
gekommen. Erst später verarmte die Familie in Folge des siebenjährigen
Krieges.
Die Familie zog von Waren in die benachbarte Kleinstadt Penzlin, der
junge Johann Heinrich besuchte die dortige Stadtschule. Er war ein äußerst
wissbegieriger und fleißiger Schüler. Was ihm körperlich nicht
gegeben war – er kränkelte oft – das glich er durch geistige
Leistungen aus. Es fiel der Familie außerordentlich schwer, den Besuch
der weiterführenden Schule in Neubrandenburg zu finanzieren. So
genannte Freitische (kostenfreie Mahlzeiten) bei mildtätigen
Neubrandenburger Bürgern ermöglichten die Ausbildung des talentierten
Schülers. Was die Schule ihm zu bieten hatte, das war für seinen
Wissensdrang nicht genug. So gründete er gemeinsam mit anderen Schülern
die Geheimgesellschaft „Societas Graeca“, um im Selbststudium Latein
und Griechisch zu pauken und die Werke aktueller Dichter wie Friedrich
von Hagedorn, Christian Fürchtegott Gellert und vor allem Friedrich
Gottlieb Klopstock zu lesen und zu diskutieren.
Ein Studium kam nach Abschluss der Schule aus finanziellen Gründen zunächst
nicht in Frage. So nahm er das Angebot des Gutsbesitzers von Oertzen aus
dem nahegelegenen Ankershagen an, dessen zehnjährigen Sohn als
Privatlehrer zu unterrichten. Es begann für Voß nun eine etwa
zweieinhalbjährige Zeit der Demütigungen und Erniedrigungen. Er bekam
deutlich weniger Lohn als sein Vorgänger, man gab ihm Bier statt Wein
zu trinken – was als bewusste Kränkung gedacht war – nur sonntags
bot man ihm Wein an, doch den lehnte der junge Voß aus verletztem Stolz
ab. Wozu er nicht gut genug in der Woche war, das wollte er auch
sonntags nicht zu sich nehmen. Er musste ein Gedicht verfassen, das der
junge Adelsspross dann während einer Festlichkeit als eigenes Werk
vortrug und dafür eine Belohnung kassierte. Voß ging leer aus.
Besonders die Dame des Hauses ließ den jungen Privatlehrer den
Standesunterschied spüren. Voß konnte und wollte nicht akzeptieren,
dass angeborene Vorrechte mehr gelten sollten, als durch eigene Leistung
erworbene Verdienste. Diese entwürdigende Zeit als Hauslehrer in
Ankershagen hat Voß tief geprägt. Hier wurden mit Sicherheit am
nachhaltigsten die Grundlagen für seinen lebenslangen Kampf gegen die
Auswüchse der Adelsherrschaft und gegen jegliche Art von
Standesprivilegien gelegt.
Ermutigt durch seinen Freund, den jungen Pastor Ernst Theodor Brückner,
schickte Voß ein paar seiner Gedichte nach Göttingen, an den
Herausgeber des „Göttinger Musenalmanach“, Heinrich Christian Boie.
Der druckte tatsächlich eines der Voß´schen Gedichte, und es begann
ein angeregter Briefwechsel, an dessen Ende Boie den jungen Voß nach Göttingen
rief, damit dieser dort ein Studium beginne. Für Freitische und Hörgeldfreiheit
werde er, Boie, schon sorgen. Und so geschah es.
Der Gang nach Göttingen brachte die entscheidende Wende im Leben des
Johann Heinrich Voß. Er begann nicht nur das Studium (zunächst
Theologie, später alte Sprachen und Kulturen) bei Professor Christian
Gottlob Heyne, noch wichtiger für Voß war die Anerkennung als Dichter
und die Verbindung zu all jenen jungen Poeten, mit denen sein Förderer,
Gönner und späterer Schwager Heinrich Christian Boie ihn zusammenführte.
Schon im ersten Semester seines Studiums in der berühmten Universitätsstadt
Göttingen kam es zur Gründung des „Göttinger Hain“. Seine
Mitglieder wählten Friedrich Gottlieb Klopstock zu ihrem geistigen
Oberhaupt. Am 12. September 1772 schlossen sie sich unter hohen Eichen
zu einem Freundschaftsbund zusammen und nannten sich nach Klopstocks Ode
„Der Hügel und der Hain“ kurz „Hainbund“. Die führenden
Mitglieder waren neben Boie und Voß Johann Martin Miller, Johann
Friedrich von Hahn und Ludwig Heinrich Christoph Hölty. Später kamen
noch die Grafen Friedrich Leopold und Christian zu Stolberg hinzu. Voß
befand sich nun quasi im Mittelpunkt des poetischen Geschehens in
Deutschland, gehörten doch die Mitglieder des „Hainbundes“ zur
ersten Garde der damaligen deutschen Lyriker. Er dichtete, studierte und
– von wesentlicher Bedeutung für seinen späteren Lebensweg –
begann einen angeregten Briefwechsel mit der erst 17jährigen Schwester
seines Freundes Boie, Ernestine, die er bald kennen und lieben lernte.
An sie schrieb er 1774 über die Stadt Göttingen, in der sein künstlerisches
Leben erst richtig zur Entfaltung gekommen war: „Göttingen ist ein
recht ungesunder Ort. Wir liegen hier alß in einem Kessel von Bergen,
beständig unter Nebel und Regen. Die Dänen sollen ja wegen ihres Clima
so dumm seyn; die Göttinger sinds wahrlich auch. Sie liegen wie die
Schweine in ihrem sumpfigen Lager, und mästen sich mit Kartoffeln.“
Von 1772 bis 1775 wohnte der Student Johann Heinrich Voß gemeinsam mit
seinem Freund Heinrich Christian Boie bei dem Göttinger Bier- und
Branntweinschenker Johann Philipp Frankenfeld in der Barfüßerstraße
16. In den „Bardei“ genannten Räumen fanden die wöchentlichen
Zusammenkünfte jenes Freundschaftsbundes statt, der als „Hainbund“
in die Literaturgeschichte eingehen sollte, und hier empfingen die
jungen Dichter häufiger den von ihnen hochverehrten Friedrich
Klopstock. In seiner Göttinger Zeit verfasste Voß Oden und Lieder, von
denen viele vertont wurden, u.a. von Carl Philipp Emanuel Bach.
1775 ging Voß von Göttingen nach Wandsbek, um dort – was zu jener
Zeit völlig unüblich war – als freier Schriftsteller zu leben. Er übernahm
von Boie die Redaktion des Musenalmanachs, was ihm immerhin jährlich
ein Honorar von 150 Talern einbrachte – ein Grundstock zwar, doch zum
Leben zu wenig. Voß war auf weitere Nebeneinkünfte angewiesen. Da er
„kein Amt“ hatte, verweigerte Voß´ spätere Schwiegermutter zunächst
die Heirat mit ihrer Tochter Ernestine. Erst eine List, die beinahe an
Erpressung grenzte – Ernestine verließ das Elternhaus und weigerte
sich, zurückzukehren – brachte die Mutter dazu, der Hochzeit
zuzustimmen. 1777 heiratete Voß seine große Liebe und Muse Ernestine
Boie. Es wurde vom Anfang bis zum Ende eine außerordentlich glückliche
Ehe. Ernestine war der Ruhepol, das ausgleichende Element in Voß´ eher
unruhigem Leben.
Er schrieb nun weniger Lyrik, wandte sich stattdessen den längeren
Formen, vor allem der Idylle zu. 1775 schrieb Voß „Die
Leibeigenen“, im Jahr darauf „Die Freigelassenen“. Die Voß´schen
Idyllen, die Titel lassen es bereits vermuten, hatten kaum etwas von
Romantisierung oder Schönfärberei, im Gegenteil: Voß benutzte die
damals übliche Form der Idylle, um beispielsweise die Situation der
armen, ausgebeuteten Landbevölkerung in klarer, teils derber Sprache zu
schildern und dadurch zur Verbesserung der Lebenssituation der einfachen
Leute beizutragen.
Die Idyllendichtung gilt als der bedeutendste Bereich im eigenschöpferischen
Werk des Johann Heinrich Voß. In Wandsbek begegnete Voß dem Dichter
Matthias Claudius, dessen berühmtes „Abendlied“ (Der Mond ist
aufgegangen) in der von Voß herausgegebenen „Poetischen Blumenlese für
das Jahr 1779“ erstmals gedruckt wurde. Ebenfalls in Wandsbek begann
Voß die Arbeit an seiner ersten Homer-Übersetzung.
Um seine Familie ernähren zu können – inzwischen war der erste Sohn
Friedrich Leopold geboren worden, benannt nach seinem Freund und späteren
Widersacher Friedrich Leopold Stolberg – nahm Voß 1778 eine Stellung
als Rektor der Lateinschule in Otterndorf in den Elbmarschen an. Neben
seiner Tätigkeit als Schulmeister vollendete Voß die Übersetzung der
Odyssee. Er ließ das Werk auf eigene Kosten drucken, also im
Selbstverlag. Er versprach sich durch das Anwerben von Subskribenten
einen höheren Gewinn, auf den er wegen seines niedrigen Gehalts als
Rektor angewiesen war. In seiner Otterndorfer Zeit erkrankte Voß an
Typhus, litt unter immer wiederkehrenden Fieberanfällen. Voß machte
die häufig auftretenden Nebel in den Elbmarschen für seine Krankheit
verantwortlich. So dachte er daran, Otterndorf, wo seine Söhne Heinrich
und Wilhelm das Licht der Welt erblickt hatten und wo seine berühmte
Idylle „Der siebzigste Geburtstag“ entstanden war, wieder zu
verlassen.
Dank der Fürsprache und Vermittlung seines Freundes Friedrich Leopold
Stolberg erhielt Voß 1782 die Stelle eines Rektors an der Eutiner
Lateinschule. In Eutin blieb er zwanzig Jahre, hier entfaltete sich
seine künstlerische Schaffenskraft vollends. Er übersetzte klassische
Autoren wie Vergil und Horaz, Ovid und Hesiod und natürlich Homers
„Ilias“; er verfasste sein berühmtes Werk „Luise, ein ländliches
Gedicht in drei Idyllen“, schrieb Gedichte, Satiren, Streitschriften,
Hymnen und nicht zuletzt die Idylle „Die Erleichterten“. Außerdem
redigierte er bis 1800 seinen jährlich erscheinenden Musenalmanach. In
den Eutiner Jahren entstand ohne Zweifel der wichtigste Teil des Voß´schen
Werkes. Manche Quellen vermuten sein ungeheures Arbeitspensum in jener
Zeit als Ursache häufiger Krankheiten und zunehmender Gereiztheit und
Nervosität. Neben seiner Tätigkeit als Dichter, Herausgeber und Übersetzer
war ja noch die nicht eben leichte Arbeit eines Schulmannes zu bewältigen.
Und dann bahnte sich zu allem Überfluss noch der Bruch mit seinem wohl
besten Freund aus Göttinger Tagen, dem Grafen Stolberg an.
Unterschiedliche Positionen in Fragen der Politik, der Poesie und der
Religion hatten immer wieder zu eher kleineren Streitereien geführt;
doch als Stolberg sich im Jahre 1800 katholisch taufen ließ, da sah Voß,
der die katholische Kirche ebenso wie den Adel für Unterdrückung und Gängelung
verantwortlich machte, diesen Entschluss Stolbergs als Verrat an. Die
Freundschaft zerbrach endgültig. Die Enttäuschung über den Verlauf
dieser Freundschaft – für Voß war auch das Versprechen „ewiger
Freundschaft“ zu Zeiten des Hainbundes gebrochen worden – und enorme
gesundheitliche Probleme veranlassten den Dichter und Rektor, seinen
Dienstherrn, Herzog Peter Friedrich Ludwig, um Befreiung von seinen
Dienstpflichten zu bitten. Sein Wunsch wurde ihm 1802 erfüllt, und so
zog Voß gemeinsam mit seiner Familie nach Jena, wo seine Söhne
Heinrich und Wilhelm studierten. Als Kurzzeitbürger von Jena pflegte Voß
mit Goethe und Schiller im nahen Weimar freundschaftlichen Kontakt.
Goethe ließ sich in Sachen Hexametertheorie von Voß unterweisen und
beherzigte dessen Ratschläge sogar.
Die Zeiten der poetischen Hochleistungen waren allerdings vorbei. Im
Jahre 1805 erhielt Voß durch den Kurfürsten Carl Theodor einen Ruf als
Professor ohne Lehrverpflichtung an die Universität Heidelberg. Er
bezog fortan ein Ehrengehalt, seine Tätigkeit für die Universität
hatte lediglich beratenden Charakter. So war er beispielsweise maßgeblich
an der Berufung bedeutender Gelehrter an die Universität Heidelberg
beteiligt. Voß übersetzte Hesiod und Aristophanes, brachte gemeinsam
mit seinen Söhnen Heinrich und Abraham sämtliche Dramen Shakespeares
ins Deutsche, überarbeitete seine Idyllen für Neuauflagen und
verfasste Streitschriften, die zum Teil eher als Schmähschriften zu
bezeichnen sind. Seine Schrift „Wie ward Fritz Stolberg ein
Unfreier?“ kränkte den einstigen Freund ganz erheblich. Zu einer
Gegenschrift aus der Feder des Angegriffenen kam es nicht mehr, da
Stolberg vorher starb. Voß legte sich immer häufiger mit ehemaligen
Freunden, Förderern und Weggefährten an. Seine Verletzungen aus ganz
früher Zeit, seine überhöhten Ansprüche an sich und seine
Mitmenschen sowie eine gute Portion Starrsinn ließen die Lage sich
derart zuspitzen, dass die Regierung ihm androhte, die Pensionszahlungen
einzustellen, sollte er weiterhin Schmähschriften verfassen. Weitere
Konfrontationen gab es nicht mehr, denn Johann Heinrich Voß starb am
29. März 1826 im Alter von 75 Jahren.
Der dänische Schriftsteller Jens Baggesen (1764 – 1926) schrieb über
Voß: „Nun stand er groß und schlank mit apollinischem Anstand, mit
dem Lächeln des Frühlings auf seiner offenen Stirn vor mir – und als
er meine Hand drückte und mich freundlich willkommen hieß, erschien er
mir als einer der schönsten Männer, die ich auf dieser Welt gesehen
habe.“
Und der Dichter Hermann Allmers (1821 – 1902) notierte: „Voß verlor
den Muth niemals, und seine Freunde und Bekannte waren entrückt von der
Liebenswürdigkeit des Dichters und seiner Gattin, namentlich aber von
dem unverwüstlichen Humor und Herzensfrohsinn, der Beide beseelte.“
Ganz anders Heinrich Heine (1797 – 1856): „Voß ist ein niedersächsischer
Bauer, so wie Luther es war; er gehört zu jenem derbkräftigen, starkmännischen
Volksstamme, dem das Christentum mit Feuer und Schwert gepredigt werden
musste, [...] der Schulmeister, [...] der in seinen Nebenstunden die
griechischen Dichter ins Deutsche übersetzt und von Thor den Hammer
borgt, um die Verse damit zurecht zu klopfen, und der endlich [...] den
armen Fritz Stolberg mit dem Hammer auf den Kopf schlägt.“
Und August Wilhelm Schlegel (1767 – 1845) wetterte gar: „Voß hatte
eine ganz einzige Gabe, und zwar die: jede Sache, die er verfocht, auch
die beste, durch seine Persönlichkeit unliebenswürdig zu machen. Er
pries die Milde mit Bitterkeit, die Duldung mit Verfolgungseifer, den Bürgersinn
wie ein Kleinstädter, die Denkfreiheit wie ein Gefängniswärter.“
Ganz offensichtlich schieden sich an Voß die Geister.
Ein Unbequemer? Ein Querdenker? Ein Aufrührer?
Auf alle Fälle – wie eingangs gesagt – ein Mann mit stark ausgeprägten
Ecken und Kanten, eine Persönlichkeit mit einer starken
Reibungsintensität. Ausgestattet mit hohen Idealen, unerschütterlich
in seinem Eintreten für Gerechtigkeit und gegen Benachteiligung;
sicherlich zuweilen ungeschickt bis starrköpfig in der Art und Weise
seines Handelns, seiner Argumentation.
Was bleibt von Johann Heinrich Voß? Unbestritten sind bis heute die
positiven Ergebnisse seiner umfangreichen Hexameterforschung und der
daraus resultierenden Hexametertheorie, die nicht nur Goethe nachhaltig
beeinflusste. Niemand zweifelt an der immensen Bedeutung seiner Homer-Übertragungen.
Johann Heinrich Voß hat der Tätigkeit des literarischen Übersetzens
eine neue Qualität gegeben. Mit seiner Übersetzungsmethode – jeweils
gleicher Vers und gleiche Metrik in Original und Übertragung sowie
getreuer Wortlaut – hat Voß bis heute gültige Maßstäbe gesetzt.
Seine Idyllen, vor allem die „Luise“, sind feste Bestandteile
deutscher Kulturgeschichte. Auch als maßgeblicher Mitbegründer des
„Göttinger Hainbundes“ wird Voß für immer in den
Literaturgeschichten verzeichnet bleiben.
Ist er tatsächlich ein Vergessener?
Die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung vergibt jährlich den
mit 15.000 Euro dotierten Preis für hervorragende Leistungen auf dem
Gebiet der Übersetzung. Seit 1977 trägt dieser wichtigste deutsche Übersetzerpreis
den Namen „Johann Heinrich Voß-Preis für Übersetzung“. Im Jahre
1999 war der Preisträger übrigens Harry Rowohlt. Die deutsche Post AG
gab im Jahre 2001 eine Sonderbriefmarke zum 250. Geburtstag von Johann
Heinrich Voß heraus. In Eutin ist die Johann Heinrich Voß-Gesellschaft
(c/o Eutiner Landesbibliothek, Schloßplatz 4, in 23701 Eutin) darum bemüht,
das Andenken an Voß zu wahren und die Bedeutung seines Werkes nicht ins
Vergessen hinab gleiten zu lassen. Und im Internet finden sich unter dem
Stichwort „Johann Heinrich Voß“ mehr als 2.600 Fundstellen.
Ein Vergessener ist er also wohl doch nicht. Aber ein Unterschätzter.
Werke (Auswahl):
Die Leibeigenen (Idylle) 1775; Musenalmanach oder poetische Blumenlese, Lauenburg 1775; Die Freigelassenen (Idylle) 1776; Der siebzigste Geburtstag (Idylle) 1781; Odüßee (Homer-Übersetzung), Hamburg 1781; Gedichte 1. Band, Hamburg 1785; Landbau (Übersetzung Vergil) 1789; Hymnus an die Freiheit, nach der Melodie der Marseillaise 1792; Ilias (Homer Übersetzung) 1793; Junker Cord, Ein Gegenstück zu Virgils Pollio (Satire), 1794; Mythologische Briefe, 1794; Luise, Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen, Königsberg 1795; Vierte Ekloge (Übersetzung Vergil), 1795; Gedichte 2. Band, Königsberg 1795; Zehn erlesene Idyllen (Übersetzung Vergil), 1797; Verwandlungen (Übersetzung Ovid), 1798; Aeneis (Übersetzung Vergil), 1799; Die Erleichterten (Idylle), 1801; Sämtliche Gedichte, Sechs Theile, Königsberg 1802; Zeitmessung der deutschen Sprache, Königsberg 1802; Horaz (Übersetzung), 1802; Hesiod (Übersetzung), 1806; Abriß meines Lebens, Rudolstadt 1818; Shakespeares Schauspiele, Bd. 1 – 9, 1818-1829; Wie ward Fritz Stolberg zum Unfreien? (Streitschrift), 1819; Aristophanes (Übersetzung), 1821; Antisymbolik, 1824-26; Kritische Blätter nebst geograf. Abhandlungen, Stuttgart 1828; Properz (Übersetzung), 1830; Mythologische Forschungen. Aus dem Nachlaß hrsg. von H. G. Brzoska, 1834; Sämmtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Voß, Leipzig 1835; Anmerkungen und Randglossen zu Griechen und Römern. Hrsg. von A. Voß, Leipzig 1838; Briefe von Johann Heinrich Voß. Hrsg. von A. Voß. Leipzig 1840; Werke in einem Band. Hrsg. von H. Voegt. Berlin u. Weimar 1966; Briefe an Goeckingh 1775 – 1786. Hrsg. von G. Hay. München 1976.
Über Johann Heinrich Voss:
Christian D. Hahn: Johann Heinrich Voß. Leben u. Werk. Husum 1977.
Klaus Langenfeld: Johann Heinrich Voß. Mensch – Dichter – Übersetzer. Eutin 1990 (= Eutiner Bibliothekshefte Nr. 3).
"Ein Mann wie Voß…" Ausstellung zum2 50. Geburtstag von Johann Heinrich Voß. Bremen 2001.
Die Überschrift dieses Beitrages ist die erste Zeile des „Hymnus der Freiheit“ (1793) von Johann Heinrich Voß.
Zur
Auswahl
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