ihn, dann liest man einen der großen deutschen Lyriker des
20. Jahrhunderts.
Es
war mal ganz anders: Georg von der Vring wurde gleich mit seinem ersten
Roman berühmt. Seine Unterhaltungsliteratur erschien in riesigen
Auflagen und er galt zeitlebens als bedeutender deutscher Lyriker. Noch
in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts war er in Anthologien
und Schulbüchern kanonisiert.
Von heute aus kann man sagen: Vrings Prosa war sehr zeitgemäß. Seine
Lyrik war und ist zeitlos – und zugleich unzeitgemäß. Mit diesen
Gedichten, Naturlyrik, vordergründig „naiv“, dazu noch fast immer
in einfachen Reimen, kann die literarische Szene heute nichts anfangen.
Aber schon der zweite Blick zeigt: diese Einfachheit ist Ziel höchster
Artistik. Was bleibt? Vielleicht ein gutes Dutzend vollkommene Gedichte.
Das ist viel, sehr viel.
Geboren wurde Georg von der Vring 1898 in Brake an der Unterweser. Fast
alles drehte sich dort in seiner Kindheit um die See- und die Schiffahrt.
Der Großvater weckte erste musische Neigungen in dem Jungen. Schon mit
14 Jahren verließ Vring sein eher ärmliches Zuhause und seine
Heimatstadt. Er ging nach Oldenburg auf das dortige Lehrerseminar. Er
kehrte nicht zurück. Als Dichter hat er Brake nie verlassen. In
Oldenburg schloß er fünf enge Freundschaften mit Gleichaltrigen. An
den Künsten war er durchaus interessiert, aber mehr noch an Fußball.
Nach dem Seminar folgten zwei Lehr-Jahre in Horumersiel, bis ihn ein
Freund 1912 überredete, nach Berlin zu gehen, um Zeichenlehrer zu
werden und um zu malen. Vring malte, dichtete ein wenig, vor allem aber
traf er in der Haupstadt die Liebe seines Lebens, Therese Oberlindorfer,
ihm vollkommen ebenbürtig, auch in der Malerei.
Dann kam der Krieg, dann kam der Tod. Vring wurde 1915 eingezogen. Die
folgenden vier Jahre ließen ihn nie wieder los. Fast alle seiner
Freunde starben, zwischendrin
Kriegshochzeit, am Ende Gefangenschaft. Das Jahr 1919 sieht das junge
Ehepaar in Jever. Zwei Kinder werden geboren.
Neun Jahre gab es den Schulmeister Vring. In dieser Zeit malte er viel,
schrieb wieder Gedichte und literarische Skizzen. Ein Text von der
Vrings aus dieser Zeit ist elementar: Der Roman „Soldat Suhren“. Das
Manuskript des Romans war 1924 abgeschlossen. Es folgte eine
Verlagsodyssee für das Buch: Der siebzehnte Verlag schließlich, J.M.
Spaeth in Berlin, akzeptierte das Manuskript, und Georg von der Vring
errang auf einen Schlag die Aufmerksamkeit der gesamten literarischen Öffentlichkeit
Deutschlands. Denn „Soldat Suhren“ ist -
dieses Verdienst bleibt Georg von der Vring -
der erste deutsche Kriegsroman über den Ersten Weltkrieg. Erich Maria
Remarques berühmtes Buch „Im Westen nichts Neues“ erschien erst ein
Jahr später, und die Jahre zuvor veröffentlichten Erinnerungen Ernst Jüngers
„In Stahlgewittern“ waren ausgewiesen autobiographische Texte.
Nach den Verheerungen des Ersten Weltkrieges dauerte es zehn Jahre, bis
in der Weimarer Republik eine Art Militärnostalgie ausbrach. „Soldat
Suhren“ erschien 1927 und wurde zum literarischen „Bestseller“.
Binnen weniger Monate wurden 30000 Exemplare verkauft, alle großen
deutschen Feuilletons brachten ausführliche Rezensionen, positive auch
von Stefan Zweig und Thomas Mann.
Allerdings: Der „Soldat Suhren“ ist eine prototypisch
„unsoldatische“ Figur. Der Held des Romans, der gegen seinen Willen
– im Taumel der Kriegsfreiwilligenbegeisterung bei Ausbruch des Ersten
Weltkriegs durchaus ungewöhnlich – zum Waffen- und Kriegsdienst
eingezogen wird, versucht zunächst, dem Dienst durch Simulation zu
entkommen. Als das schiefgeht, fügt er sich in das Unvermeidliche und
beschließt, „ein brauchbarer Soldat zu werden“. Keine Spur von
soldatischer Begeisterung und Todesmut fürs Vaterland, Suhren will
seinen Dienst anständig durchstehen. Vring schildert soldatischen
Alltag, Rekrutendrill, Vorgesetztenschikanen und entstehende
Kameradschaften. Erst das letzte Kapitel führt an die Front und in
feindliche Kugelhagel. Die Armee aus der Sicht des gemeinen Soldaten,
nicht der potentiell heroische Krieger auf dem Schlachtfeld, ist das
Thema des Buches in oft tragisch-komischen Skizzen: den ungestörtesten
Platz für Suhren, den Brief seiner Geliebten zu lesen, findet er ganz
nah bei den Latrinen. Das Drama eines Empfindsamen in einer wahrlich
rauhen Umgebung und sein Versuch, dieses Drama in Kameradschaft möglichst
unbeschädigt zu überstehen: das ist der Kern des Romans.
Dieses Buch, das erste seiner Art, enthält, deutlicher auch als „Im
Westen nichts Neues“, eine neue, „moderne“ Wendung: Die Klage und
Polemik Vrings, unprätentiös und ohne Pathos im Roman immer gegenwärtig,
richtet sich deutlich gegen die „unmenschlichen“,
entpersonalisierten Methoden der Ausbildung des gemeinen Soldaten und
die Methoden moderner Kriegsführung im 20. Jahrhundert, exekutiert
durch diesen gemeinen Soldaten, der im Ersten Weltkrieg auch
Unteroffizier und rangniedriger Offizier werden konnte. Auf diese
Personen bezieht sich Vrings Empathie, deren neue Rollendefinition Peter
Sloterdijk skizziert: „Das heißt, die Heldenzumutungen fallen immer
mehr auf diejenigen, die ihrer Natur und Motivation nach eher Zögerer
und Feiglinge sind. In den modernen Infanterien muß daher ein
schizoider Heldendrill -
die Dressur zu einem anonymen und unbedankten Todesmut -
durchgeführt werden. Die Spitzenoffiziere, die ihrer strategischen
Position gemäß weniger gefährdet bleiben, schieben das Heldenrisiko
ab. Sobald die Soldaten sich dessen bewußt wurden, setzten in der
Truppe argwöhnische Reaktionen gegen die Führenden ein. Die modernen
Großarmeen standen und fielen mit der Gruppe der Unterführer und
niederen Offiziere, die ,mit nach vorn’ gingen.“ Für den Erfolg von
„Soldat Suhren“ und seiner Nachfolger glaubt Sloterdijk ein
bestimmtes Sehnsuchtsmoment geortet zu haben. „Die Kriegsnostalgie war
u.a. eine Restauration der Männlichkeit, mehr noch aber die
Restauration eines untergehenden sozialpsychologischen Typs, des
,eindeutigen Charakters’.“ Die Sehnsucht nach diesem „eindeutigen
Charakter“ ist inVrings Buch durchgängig anwesend, gerade in der fast
ununterbrochenen Beschreibung aller im Armeesystem begründeten
Verhinderungen von Ansätzen zur Erfüllung dieser Sehnsucht.
Für Vring gibt es im Krieg und an der Front kein Gut und Böse, kein
Freund-Feind-Schema: „Denn in jener Front, die der Heeresbericht erwähnt,
kämpft Gutes gegen Gutes, Böses gegen Böses, Gutes gegen Böses und Böses
gegen Gutes.“ Die inhumanen Grausamkeiten beim militärischen Drill,
in der Etappe und an der Front bilden bei Vring die Negativfolie zur
Entwicklung seines eigenen, gänzlich anderen Ideals, das damals und
noch für Jahrzehnte fast zwangsläufig illusorischen Charakter hatte:
Vring ist bereits hier, und das sollte so bis zu seinem Tode bleiben,
getrieben von einem tatsächlichen, intentional ungekünsteltem frontübergreifendem
Humanismus. „Eindeutiger Charakter“, das bedeutet für Georg von der
Vring: ein Gewissen, das zur Menschlichkeit mahnt, auch nationen- und völkerübergreifend.
Diese illusorisch zu nennende Position nahm Vring bereits sehr früh ein
und hat sie auch in seinen literarischen Stoffen bis an sein Lebensende
vorgetragen.
Am liebsten hab ich
gelebt
Im Schleier verregneter Gärten.
Hier fanden mich gute Gefährten.
Wir haben nach Hohem gestrebt.
Sie fielen, so blieb ich allein
Und lebte, da niemand mich störte,
Ein Leben, das keinem gehörte,
Und also war es nicht mein.
Nach
dem Erscheinen des „Soldat Suhren“ empfand sich von Georg von der
Vring als anerkannter und etablierter Schriftsteller und nahm seinen
Abschied von der Schule. Seine junge Frau hatte den großen Durchbruch
nicht mehr erlebt. Sie starb 1927 an Tuberkulose, ein Verlust, den Vring
40 Jahre lang betrauerte.
Nach kurzen Episoden im Tessin und in Wien ließ sich Vring in Stuttgart
nieder. Um seine Familie ernähren zu können, verfasste er, neben Lyrik
– der erste Gedichtband erschien 1930 – eine große Zahl von
Unterhaltungs-Romanen. Diese oft autobiographisch gefärbten Bücher
verkauften sich gut. Einer, „Schwarzer Jäger Johanna“, wurde sogar
mit Marianne Hoppe verfilmt. 1936 feierte Vring, gemessen an der
Auflage, seinen größten Bucherfolg mit dem Roman „Die Spur im
Hafen“. Das Buch erzählt die phantasievoll ausgeschmückte Geschichte
eines geheimnisvollen Mordes, der in Brake geschah und über den Vrings
Großmutter dem jungen Mann berichtet hatte.
„In einer kleinen norddeutschen Hafenstadt ereignet sich um die Mitte
des vorigen Jahrhunderts ein mysteriöser Todesfall. Der junge Neffe des
vermeintlich Verunglückten, Assessor am Hamburger Seeamt, kommt nach
Werderfleth, um das Vermächtnis zu übernehmen. Die geheimnisvollen
Umstände, die mit dem Tod seines Onkels verbunden sind, lassen ihn
nicht ruhen und zwingen ihn, die Spur des Mörders zu verfolgen“ -
so der bündige Klappentext der Taschenbuchausgabe. Dieser
Heimat-Kriminal-Roman von der Vrings erreichte eine Auflage von 445000
Exemplaren. Man könnte sagen, es ging Vring ganz gut.
Fast könnte man sagen: So lebte er hin, in zweiter Ehe und mit nun vier
Söhnen. Er publizierte Lyrik, Romane, verfasste Hörspiele und
Theaterstücke, er übersetzte Klassiker aus dem Französischen und
Englischen – und er malte. Er lebte sein großes und vielfaches
Talent. Dann widerfuhr ihm der nächste große Krieg. Georg von der
Vring und seine Familie überlebten. Beschädigt selbstverständlich.
Vring zog nach München, um seinem Verleger Reinhard Piper näher zu
sein. Er war nun ein älterer Herr, der in den Schulbüchern stand –
und der irgendwann unter einer Wolke von Wohlwollen und Anerkennung
verschwunden war. So lange gelobt, bis keine Reibungsfläche mehr übrig
blieb und er mitsamt seinen Bewunderern durch jedes Auswahlmuster
gerutscht war. Der zeitlose Dichter Georg von der Vring war schon in den
sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts praktisch verschwunden. Bis er
dann wirklich verschwand und – wohl aus Liebeskummer (welch trotzige
Geste eines 78 Jahre alten Mannes!) – zum Freitod in die Isar ging.
Was war dem Schriftsteller Georg von der Vring am Ende noch wichtig
geblieben? Seine Gedichte. Was wird von ihm bleiben? Gedichte. Was Vring
– in einer nur scheinbar „naiven“ Poetik – anstrebte, waren,
nach einer Formulierung des Philosophen Hans-Georg Gadamers, Gedichte
als „Refrain der Seele. Refrain ist, worin alle einstimmen“. Im
besten Fall sollten dem Dichter „Kunststücke“ gelingen, denen man
die Kunst nicht mehr ansieht. Gar nicht überraschend: der Titel eines
von ihm 1943 gehaltenen Vortrags enthält Vrings programmatische
Zielvorgabe als poetologische Handlungsanweisung: „Das Einfache in der
Dichtung“ zu erreichen als die schwerste und die höchste Leistung.
Mit der Definition seiner lyrischen Arbeit als der – nach einer
Formulierung von Karl Marx – vom Menschen regulativ gesteuerten
Abarbeitung mit der Natur hätte Vring durchaus etwas anfangen können.
Dem Brechtschen Verdikt, über Bäume dürfe man angesichts viel drängenderer
Probleme, der Bedrohung durch politisch-kulturelle Barbarei, nicht
schreiben, wäre Vring nie gefolgt. Seine Lyrik war intentional nicht
agitatorisch, sondern sollte Trost und Hoffnung in einer trostlosen Welt
vermitteln.
Die Schwerter der
Krieger sind härter
Als die Schwerter der Lilien im Garten,
Doch ein Lilienblatt ist mir werter
Als ein Schwert voller Rinnen und Scharten
Im
übrigen sind am Anfang des 21. Jahrhunderts Bäume zum zentralen Thema
in der Auseinandersetzung mit lebensbedrohenden ökologischen Barbareien
der industriellen Gesellschaft geworden. Der Literaturwissenschaftler
Norbert Mecklenburg spricht in seiner Untersuchung über „Naturlyrik
und Gesellschaft“ davon, daß "im Gedicht Natur in der Regel
weniger Welt als Gegenwelt darstellt". Würde man diesem Argument
folgen, dann wäre das Besingen von Lilien und Päonien in Gedichten
Vrings, die sich lasen, als entstammten sie einer anderen, früheren
Zeit, hoffnungslos obsolet, eigentlich gar nicht mehr möglich,
entsprungen einem vergangenen bürgerlichen Naturkonzept und einer im
„Naturgedicht zur Schau gestellten Harmonie mit Natur“, mit einem
Wort: weltfremd. Naturlyrik stehe „beispielhaft für die Tendenz zum
Unpolitischen, Praxis- und Gesellschaftsfernen bei vielen Formen der
Lyrik überhaupt“. Dahinter steckt die nicht neue Forderung von einer
Lyrik mit richtig dosierter Würze von Welthaltigkeit, immer
angeschlossen an den Zeitgeist, einer Rezeptur, der Georg von der Vring
zutiefst mißtraute -
Man schrie beim Toto
durchs Gewimmel:
„Sieh da, der drahtige N.N!
Er ging durchs Ziel auf Rilkes Schimmel.
Jetzt sattelt er den Rappen Benn.“
Umso
erstaunlicher bleibt die enorme Haltbarkeit einer Lyrik, deren
Verfallsdatum nach den genannten Vorgaben eigentlich schon bei der
Produktion längst abgelaufen war, einer Lyrik, die sehr genau eine
andere Art von Vergänglichkeit zu beschreiben vermochte:
Es sind im Oktober
die Beeren
Roter als irgendwann.
Doch kommenden Herbst -
was dann,
Wenn wir nicht wiederkehren?
Sie mögen, als ob wir noch wären,
Sich röten -
aber sie waren
In all unsren wenigen Jahren
Roter als irgendwann
Natürlich
weiß Vring und mit ihm sein Leser, daß die besungenen Beeren in jedem
Herbst immer gleich rot leuchten. Hier wird keine kleine, heile Welt der
Gräser und Blüten besungen, Klage über Verlust, über Altern und Tod
beherrscht ein Bild aus der Natur ohne jeden idyllischen Anhauch, verknüpft
mit einer Reflexion über die andere, subjektiv überhöhte Wahrnehmung
von Liebenden, in Bildern, die dem Leser unvermittelt einleuchten -
darin besteht die poetische Leistung dieser acht Zeilen. Georg von der
Vring schrieb keine Idyllen, keine Schilderungen ungetrübten Daseins
friedvoller Menschen im Gleichklang von Geist und Natur, vielmehr
beherrschen Bilder eines getrübten Daseins, Freud- und Friedlosigkeit
seine Gedichte. Beschreibung und Evokation von Natur münden bei Vring
oft in Zeilen und Strophen über unerfüllte Wünsche, gescheiterte
Hoffnungen, gebrochene Stimmungen, hinter einer Folie nur scheinbar
zeitloser Naturbetrachtung.
Georg von der Vring hatte einen klaren Begriff von einer Naturkraft, die
gar nichts Rührendes, nichts „Tümelndes“ hat, die vielmehr in der
Lage ist, auch außerhalb der hybriden Menschheitsgeschichte zu
existieren. Christoph Meckel berichtet, wie der alte Dichter seinen
jungen Kollegen bei einem Spaziergang unvermittelt und „streng“
belehrte: „Die alten Bäume überleben uns!“ Obwohl das
„Waldsterben“ zu seiner Zeit noch unbekannt war, besaß Vring eine
Ahnung von Naturkraft in ihren völlig anderen Zeitdimensionen, deren
Unterschätzung auch kenntlich wird in dem grün-ökologischen Irrtum,
die Menschheit sei dabei und in der Lage, diese Erde zu zerstören -
sie kann sicher ihre eigene Rasse vernichten, aber die Natur würde sich
re- und neuorganisieren, sie ist nach aller historischen Erfahrung schon
mit vergleichbaren Katastrophen, als welche sich die beherrschende
Ausbeutung durch den homo sapiens entpuppt hat, fertig geworden.
Vring gehörte zu der nur vordergründig einfach strukturierten Spezies
deutscher Dichter, die in schlichten Worten, aber höchster Wortartistik
eine Naturlyrik schrieben, die das potentielle Ende aller Natur und Natürlichkeit
gleich mitbeschwört: Kinderverse mit schwärzester Grundierung. Eine
Formulierung seines Dichterkollegen Oskar Loerke kennzeichnet die
formale Kunst auch Georg von der Vrings: „Der Geist des Stoffes heißt
Form. Das höchste Gelingen vorausgesetzt, ist in unserer Kunst der
Gedanke ganz Gefühl, das Gefühl ganz Gedanke, beides ganz
Anschauung.“
Georg von der Vring entwickelte sich im Lauf seines fast 80-jährigen
Lebens -
im Deutschland des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des Dritten
Reichs, der Bundesrepublik -
zum, wie Peter Hamm ihn titulierte, buchstäblich „letzten Meister des
Liedes“. Ohne Breitenwirkung, ohne Schüler, ohne Epigonen, ohne
Einfluß. Er wurde lexikalisch eingereiht, er blieb wirkungslos. Ein
zeitloser Dichter, der seit langer Zeit unzeitgemäß ist. Am Ende
seines Lebens formulierte Georg von der Vring sehr deutlich, was ihm
blieb, und was von ihm bleiben sollte: „Vielleicht einhundert gute
Gedichte. Trotz dieses Scheißlebens.“
Wohl nicht einhundert, sicher aber mehr als zehn der Gedichte
Vrings scheinen den Beweis ihrer „zeitlosen“ Gültigkeit und
Anziehungskraft antreten zu können. Die berühmteste zeitgenössische
deutsche Lyrikerin Sarah Kirsch zitiert in ihrem Tagebuch das „Jägerlied“:
Schwarz ist der
Schrot
Im Rohr meiner Flinte.
Feuerfarben
Sprühen die Garben
Hinter dem Wilde dahin.
Heute das Wild
Und morgen der Jäger!
Nachts in der Hütte
Stören mich Schritte,
Aber ich höre nicht hin.
Für
Sarah Kirsch ist das „Jägerlied“ „eines meiner siebzehn
Lieblingsgedichte“. Georg von der Vring ließ am Ende nur die Gedichte
gelten. Keine Gültigkeit für die Romane und Erzählungen aus den
Jahren 1928 bis 1959. Sie erscheinen dem Leser heute wie überzogen mit
der Patina des jeweiligen Jahrzehnts; sehr zeitgemäß bei ihrem
Erscheinen, sehr zeitgebunden, bei erneuter Lektüre doch sehr veraltet
in Inhalten und Intention: vergilbte Geschichten aus einer anderen Zeit.
Dagegen die Gedichte: obwohl gerade sie beim ersten Lesen den Eindruck
vermitteln, als stammten sie aus einem ganz anderen Jahrhundert,
entfalten sie ihre Wirkung, im besten Fall ihren Zauber, ungeschmälert
heute wie vor 70 Jahren. Ein Verfallsdatum scheint es nicht zu geben. Über
diese phänomenale Haltbarkeit schrieb sein norddeutscher Kollege Helmut
Heissenbüttel -
und man kann nur staunen, denn der Schriftsteller Heissenbüttel ist vom
Schriftsteller Vring denkbar weit entfernt -
nach dem Tod Georg von der Vrings: „Ein lyrisches Werk also, daß sich
besser gehalten hat als andere, die mit Anspruch und Mythologie, mit
Spitzfindigkeit und Experiment gearbeitet haben. Ich selber, dem, wie
man sagt, sogenannten Experiment verschrieben, nur weil ich
Schwierigkeiten hatte, eine Redeweise für mich zu finden, habe das nie
geleugnet und immer einmal wieder Verse von der Vrings zitiert. Diese
Verse haben sich, und das ist es doch eigentlich, was zählt, in mein
Leben eingemischt, wie umgekehrt Erinnerung sich an sie angehängt hat,
die von mir kommt.“
Georg von der Vring wollte keine literarische Aufklärung. Aufklärung
aus der Perspektive selbstbewußter menschlicher Autonomie mit dem Ziel,
Welt zu erforschen, zu unterwerfen, zu beschreiben: das war nicht sein
Anliegen. Er wollte verzaubern.
Werke (Auswahl)
Lyrik:
Verse. Gedichte. 96 Seiten. Bremen 1930. Schünemann
Die Lieder des Georg von der Vring. 84 Seiten. Oldenburg 1939. Stalling
Oktoberrose. Gesammelte Gedichte. 153 Seiten. München 1942. Piper
Verse für Minette. 62 Seiten. München 1947. Piper
Abendfalter.
Ausgewählte
Gedichte. 63 Seiten. München 1952. Piper
Kleiner Faden Blau. Gedichte. 84 Seiten. Hamburg 1954. Claassen
Die Lieder des Georg von der Vring. 1906-1956. 202 Seiten. München
1956. Langen Müller
Der Schwan. Lieder und Gedichte. 91 Seiten. München 1961. Langen Müller
Der Mann am Fenster. Neue Gedichte. München 1964. Langen Müller
Gesang im Schnee. Neue Gedichte. 71 Seiten. München 1967. Langen Müller
Die Gedichte. Gesamtausgabe der veröffentlichten Gedichte und eine
Auswahl aus dem Nachlaß. 535 Seiten. Ebenhausen bei München 1989.
Langewiesche-Brandt
Prosa:
Soldat Suhren. Roman. Berlin 1927. 396 Seiten. Dresden 1928. J.M. Späth
Die Spur im Hafen. Kriminalroman. 185 Seiten. Berlin 1936. Scherl
Die Wege tausendundein. 287 Seiten. Hamburg 1955. Claassen. Nachdruck im
Isensee-Verlag, Oldenburg 2001
Übersetzungen:
Englisch Horn. Anthologie angelsächsischer Lyrik von den Anfängen
bis zur Gegenwart. Übertragen und herausgegeben von Georg von der
Vring. Köln/Berlin 1953. Phaidon/Kiepenheuer & Witsch
Angelsächsische Lyrik aus sechs Jahrhunderten. Englisch-Deutsch.
Herausgegeben, übertragen und mit biographischen Notizen versehen von
Georg von der Vring. 278 Seiten. Köln 1962. Kiepenheuer & Witsch
Über Georg von der Vring:
Dirk Dasenbrock: Georg von der Vring. 1889 – 1968. Vier Leben in
Deutschland. Vechta: Eiswasser 1997.
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Georg von der Vring
Soviel Raffinesse
und dann klingt es so naiv
ein Romantiker im falschen Jahrhundert
sang Lieder vom Öffnen von Nüssen
von Gräsern und Blumen quer durch die Flora
Die rechte Hand schrieb von alleine
fast immer kurze Zeilen fast immer Reime
immer mehr trostlose Strophen
„Meine Wälder sind nur Schilf“
„Die alten Bäume überleben uns“
Schwarze Natur Georg von der Vring
Name aus lange vergangener Zeit
Name im Stein halb versunken im Gras
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Zur
Auswahl
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