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Endlich eine brauchbare Ausgabe der Werke Gleims! |
Gleim, der von 1719 bis 1803 gelebt hat, war so etwas wie die gütige Vaterfigur des literarischen Lebens seiner Zeit. Mit vielen Autoren wechselte er Briefe, nicht wenigen half er, und zu seinen Lebzeiten erschienen nicht weniger als 138 Werke und Werkchen von ihm. Die Flut der Veröffentlichungen riss freilich im Todesjahr ab, danach kam nur noch eine 8-bändige Werkausgabe, folgten seltene Auswahlausgaben, häufiger noch Briefeditionen in wissenschaftlichen Jahrbüchern.
Ja, die Briefe! Zehntausende hat er hinterlassen, und es wäre eine schöne Editorenaufgabe, den Korpus dergestalt zu verdichten, dass er einen Spiegel der damaligen Dichter-Szene gibt. Jetzt aber haben wir erst einmal einen über 700seitigen Extrakt der Gleim'schen Werke, eine Studienausgabe, die auch noch den kompletten Briefdialog mit Gottfried August Bürger umfasst. Dieser Glücksfall verdankt sich der Wiederkehr seines 200. Todestages am 18. Februar, dem Umstand, mit dem Herausgeber Walter Hettche einen ausgewiesenen Kenner der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts zu besitzen und mit Wallstein einen wagemutigen kleinen Verlag, der immer wieder solche Projekte in Angriff nimmt.
Jetzt läßt sich Goethes Urteil in "Dichtung und Wahrheit" überprüfen, das zwar den Wohltäter Gleim und seine "Lust, hoffnungsvolle, vom Glück nicht begünstigte Menschen vorwärts zu bringen" würdigte, seiner lyrischen Produktion jedoch allenfalls "Duldung" entgegenbrachte.
Zugegeben, die anakreontische Verspieltheit vieler, sehr vieler Verse will uns heute ein bisschen allzu leicht gewichtig vorkommen, die immer wiederkehrenden Bilder wie beliebige Versatzstücke und so recht auf die Wirklichkeit keiner Zeit – weder der Gleim'schen noch der unsrigen – passend. Aber wo immer sich Geschichten und Schicksale andeuten, vor allem in den Romanzen und Fabeln und durchaus auch in den Zeitgedichten, wird schnell Interesse wach. Da erleben wir, was auch schon zu der wiedergekehrten Wertschätzung Wielands geführt hat: Spannende Erzählungen bleiben auch in Versform spannend, und die scheinbar mühelose Beherrschung der Form stimmt den Leser fröhlich und läßt ihn bedauern, dass der freche Reim in der deutschen Literatur der letzten fünfzig Jahren immer seltener gepflegt worden ist, Brecht, Hacks, Biermann Gernhardt die Ausnahmen blieben.
Die vorliegende Internetseite versteht sich ja eigentlich nur als review niedersächsischer Autoren, und wenn wir zeitgenössische politische Grenzen zugrunde legen, wäre der Halberstädter Gleim also aus Sachsen-Anhalt. Zugleich aber will er mir wie der Ahnherr unserer "Tandem-Bewegung" vorkommen, die beide Bundesländer literarisch aufs Erfreulichste zusammenführt. Ein Beweger, Dränger, Förderer und Freund, der in Briefwechseln mit Herder, Lessing, Wieland, Ewald von Kleist, Voss, Bürger und vielen anderen Format und Kontur gewinnt.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Ausgewählte Werke. Hrsg. von Walter Hettche. Göttingen: Wallstein Verlag 2003. (Schriften des Gleimhauses Halberstadt. Band 1) 768 S., geb. 29 EUR.
Das Gleimhaus Halberstadt
Literaturmuseum der deutschen Spätaufklärung
Adresse: Domplatz 31
38820 Halberstadt
Telefon: 03941/6871-0
Fax: 03941/6871-40
E-mail: gleimhaus@t-online.de
Öffnungszeiten:
Mo-Fr 9.00 - 17.00 (Mai bis Oktober)
9.00 - 16.00 (November bis April)
Sa/So 10.00 - 16.00 (ganzjährig)
Führungen:
Führungen zum Buchbestand erfolgen nach Voranmeldung (Führungsgebühr: 30,00 DM plus 2,00 DM pro Person)
Kurzinformation:
Das Gleimhaus Halberstadt befindet sich in einem Fachwerksbau von 1600/1754, welcher 1994 durch einen Erweiterungsbau ergänzt wurde. Original historische Bibliotheksräume sind nicht erhalten.
Die Bibliothek des Dichters und Aufklärers Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) ist eine der bedeutendsten erhalten gebliebenen privaten Büchersammlungen des 18. Jh. Neben dem historischen Buchbestand befindet sich im Gleimhaus auch eine moderne Forschungsbibliothek, welche ebenso wie die Gleimbibliothek der Öffentlichkeit zur Benutzung zur Verfügung steht.
Im modernen Erweiterungsbau befindet sich neben der Gleimbibliothek und der Forschungsbibliothek auch die Handschriftensammlung. Sie umfaßt mehrere Tausend Autographen aus dem 18. Jh., u.a. von Lessing, Herder, Klopstock, Jean Paul, sowie Gedichtmanuskripte, Akten, autobiographische Zeugnisse und vieles mehr.
Sammelgebiete:
Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jh.s (Sammlung Gleim), Literatur- und Kunstgeschichte, Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte vorzugsweise des 18. Jh.s, Buchgeschichte