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Giacomo Casanova: Geschichte meines Lebens – Lebensgeschichte eines Zeitgenossen von Goethe

„Was meine Memoiren anbelangt, so glaube ich, dass ich sie sein lassen werde, denn von meinem fünfzigsten Jahre ab kann ich nur Trauriges darbieten, und das macht mich traurig. Ich habe sie nur geschrieben, um mich mit meinen Lesern zu unterhalten; gegenwärtig würde ich sie betrüben und das ist nicht der Mühe wert.“

Goethe (1749 – 1832) und Casanova (1724 – 1798) haben nahezu ein halbes Jahrhundert gleichzeitig gelebt, waren europäisch welterfahren und haben die gleichen großen Umbrüche ihrer Zeit erlebt. Die Biographie des einen erhellt die Biographie des anderen, weshalb es verwundert, dass die beiden in Untersuchungen bislang noch selten in Bezug zueinander gestellt worden sind. Gewiss, sie haben einander nie getroffen, wenngleich sie beide zahlreiche Orte zwischen Straßburg, Berlin, Zürich und Rom zu Zeiten besucht haben, die manchmal gar nicht so weit auseinander lagen. Vor dem italienischen Dörfchen Sant’ Agata hatte Casanova einen Achsbruch, und Goethe schildert später in der „Italienischen Reise“ die Unfreundlichkeit des selben Wirtes dort.

Oft kannten sie dieselben Leute, wie zum Beispiel Mitglieder der Schweizer Familie Orelli. Von der Gräfin Lantieri schreibt Casanova, sie sei „so schön wie ein Stern; sie flößte mir eine Leidenschaft ein, die mich unglücklich gemacht haben würde, wenn ich nicht Kraft genug besessen hätte, meine Liebe mit dem Schleier der größten Ehrfurcht zu umhüllen.“ Und in seiner „Italienischen Reise“ erwähnt Goethe die Lantieri gleich mehrmals (u.a. am 27. Mai 1787: „Ich fand eine liebenswürdige Dame, mit der ich vorigen Sommer in Karlsbad die angenehmsten Tage verlebt hatte.“) In Dresden schließlich lernte er am 28. Juli 1790 mit dem Akademiedirektor Johann Casanova, den Bruder des Autobiographen und Abenteurers kennen.

Casanova wiederum wusste von Goethe und seiner Bedeutung, wenn uns dieses Wissen auch nur in einer abschätzigen Notiz des geistvollen Essayisten Charles de Ligne erhalten geblieben ist, der übrigens im Briefwechsel mit Goethe. „Unterwegs hat Casanova kein Glück“, erzählt er. „Man lässt ihn in den Vorzimmern warten. Man stellt ihn nicht an – weder als Erzieher noch als Bibliothekar noch als Kammerherrn. Überall erklärt er die Deutschen für Dummköpfe. Nur der prächtige und liebenswürdige Herzog von Weimar empfängt ihn zuvorkommend; sogleich wird Casanova auf seine Günstlinge eifersüchtig, auf Wieland und Goethe. Er deklamiert gegen sie. Er deklamiert gegen die deutsche Literatur, die er nicht kennt; deklamiert in Berlin gegen Unwissenheit und Aberglauben und schimpft auf die spitzbübischen Hebräer, an die ich ihn verwiesen hatte; lässt sich aber von ihnen Wechsel diskontieren, die er auf den Grafen zieht.“

Es ließen sich noch weitere Bezüge finden. Dass es so leicht fällt, ist möglich dank einer CD-ROM, die Casanovas „Geschichte meines Lebens“, in der kommentierten Ausgabe von Günter und Barbara Albrecht wiedergibt. Diese digitale Ausgabe basiert auf der im Gustav Kiepenheuer Verlag erschienenen zwölfbändigen Buchausgabe (DDR 1983 – 1988). Sie gibt den vollständigen Text in der Übersetzung von Heinrich Conrad unverändert wieder und ist mit einer wortgenauen Seitenkonkordanz zur gedruckten Ausgabe versehen. Zusätzlich aber profitiert sie in den Anmerkungen von der mittlerweile reichlichen Sekundärliteratur und von der letzten großen Ausgabe vor der hier vorliegenden (BRD 1964 – 1967, übersetzt von Heinz von Sauter.

Wenige Seiten der Lektüre vermitteln sogleich den Unterschied zwischen den Übersetzungen: Sauter gibt sozusagen die modernere, glattere. Im Gegensatz zu dieser Übersetzung wahrte Conrad Casanovas Eigentümlichkeit des Wechsels von Imperfekt und Präsens im Erzählstil entsprechend der französischen Vorlage; sie vermittelt nicht nur einen Eindruck von der literarischen Originalität des Memoirenschreibers Casanova, sondern verleiht seinem Stil ein lebendiges, persönliches Gepräge. Vor allem aber ermöglicht das Medium CD-ROM eine bis dato nicht verfügbare Möglichkeit, sich in Sekundenschnelle im Leben eines Menschen umzutun, der wie wenige seiner Zeit sich mit Menschen und Orten eben dieser Zeit vernetzt hat.


Giacomo Casanova: Geschichte meines Lebens. Hrsg. u. komm. von Günter Albrecht in Zusammenarbeit mit Barbara Albrecht. Berlin: Directmedia Publishing 2004. (Digitale Bibliothek) CD-ROM. Empfoohlener Verkaufspreis: 19,90 €. – Systemvoraussetzungen: PC ab 486. Mac ab MacOS10.2