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„... denn was wäre die Welt ohne Kunst?“
Goethe-Handbuch: Supplemente 3: Kunst |
Man beginnt in diesem voluminösen, über 600 Seiten umfassenden großformatigen Buch ein wenig unlustig zu blättern. Ist nicht zum Thema Goethe und die Kunst alles gesagt? Hat nicht auch schon der Doppelband 4 des vorangegangenen Hauptwerkes das Wichtigste gebracht? Aber dann manifestiert sich ein Phänomen: Was man bislang auf diesem Gebiet als eher trübes Abbild wahrgenommen hat, das tritt auf einmal scharf vor Augen, was früher eine Vignette war, erweitert sich zum Panorama. Die beiden nicht minder voluminösen Doppelbände von 1998, worin ein Alphabet der Personen, Sachen und Begriffe gegeben wurde, haben nicht annähernd „Umfang, Reichtum und Komplexität von Goethes Beschäftigung mit den bildenden Künsten sowie die Intensität seiner Wirkungen auf die Kunst seiner Zeit“ abzubilden vermocht (Andreas Beyer / Ernst Osterkamp).
Aus dem Blättern wird ein erstes Querlesen und Vergleichen mit dem, was die Bände 4/1 und 4/2 schon geboten haben. Welche Bereicherung! Den fünf Seiten über Kunst von damals – mehr Definition als Monografie – stehen nun über 600 Seiten gegenüber. Das Verhältnis bei Philipp Otto Runge: ist 2 : 5 (von den vielen Künstlern, die damals nicht vorkamen, gar nicht zu reden). „Goethe im Porträt“: 2 : 19. Goethes Schriften zur Kunst im dritten Band des Hauptwerks: 76 : 163. Und natürlich ganz zu schweigen von den umfangreichen Essays zu allgemeinen Themen im ersten Teil des Supplementbandes.
Goethe hat sich Zeit seines Lebens mit der bildenden Kunst auseinandergesetzt, praktisch und theoretisch, und sie hat ihn vielleicht noch mehr geformt als all sein Lesen und Reisen. „Göthes Dichtungstrieb“, schrieb Wilhelm von Humboldt, „verschlungen [..] in seinen Hang und seine Anlage zur bildenden Kunst, und sein Drang, von der Gestalt und dem äußeren Object aus dem inneren Wesen der Naturgegenstände und den Gesetzen ihrer Bildung nachzuforschen, sind in ihrem Princip Eins und ebendasselbe, und nur verschieden in ihrem Wirken.“
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Goetheporträt von Angelika Kauffmann (1787/1788) |
Goethes Aktivitäten auf dem Gebiet der bildenden Kunst gingen in alle Richtungen. Er war Zeichner, Sammler und Theoretiker. Er versuchte Schulen und Richtungen zu begründen (was ihm misslang) und schrieb Kunstpreise aus (womit er eine Zeit lang Erfolg hatte). Aber es versteht sich, dass sich derart divergierende Lebensäußerungen eines Menschen nicht in einer chronologisch-historischen Abfolge darstellen lassen. Die Herausgeber haben sich darum eine einleuchtende Gliederung ausgedacht, die zudem den Vorzug hat, dass man schnell findet, was man sucht: Teil I: Essays. Teil II: Goethes Schriften zur bildenden Kunst. Teil III: ein Künstlerlexikon.
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Goethe-Porträt von Johann Heinrich Meyer
(ca. 1791 – 1795) |
Der erste Teil bringt die großen übergreifenden Themen. Ernst Osterkamp zum Beispiel eröffnet mit einem werkbiographischen Überblick und stellt Kunst und Künstler in Goethes Werk dar. Markus Bertsch schließt diesen Teil mit Goethes Rezeption in der zeitgenössischen Kunst.
Der zweite Teil stellt in Referat und Analyse sämtliche Schriften Goethes zur bildenden Kunst dar, beginnend mit den verstreut publizierten Schriften zur Kunst, schließend mit dem Aufsatz „Philostrats Gemälde“, der 1818 in der Zeitschrift „Über Kunst und Altertum“ erschien. Dazwischen die großen Monographien über Cellini, Winckelmann, Hackert, vor allem aber der 1798 veröffentlichte Aufsatz „Über Laokoon“, der entschieden zu Goethes tiefsten Äußerungen über Kunst gehört.
Der dritte Teil gibt ein Künstlerlexikon von Arens bis Trippel: 58 Kurzbiographien, die von Goethe her kommen und zu ihm zurückführen. Hier sind – gleich, ob Zeitgenosse oder Cranach, Dürer, Leonardo da Vinci – all jene Künstler dargestellt, die in irgend einer Weise für den Dichter bedeutsam waren. Derart knapp und klug und umfassend zugleich lässt sich der hier versammelte Stoff sonst wohl nirgends beisammen finden.
Zwei Dinge zeichnet auch dieses Werk – wie schon den Hauptteil und den ersten Supplementband – aus: Jedes Kapitel schließt mit einem guten Literaturverzeichnis, dass zur Gegenwart hin immer vollständiger wird. Und es gibt nichts, was den Laien sprachlich abschrecken müsste, den Fachmann aber fachlich unterforderte. So also kann Wissenschaftsdeutsch auch sein! Lassen wir also die gestrengen Herausgeber Andreas Beyer und Ernst Osterkamp hoch leben und die Lektorinnen Kathrin Wittler und Julia Eckhoff an dem Lob teilhaben! Und was immer die Aufgabe der Koordinatorin Jacqueline Dubach gewesen sein, einfach kann sie bei so vielen Mitarbeitern nicht gewesen sein.
Für Herbst ist ein weiterer Supplementband zum Goethe-Handbuch angekündigt. Er wird sich mit den Naturwissenschaften befassen. Wie viele auch immer noch folgen mögen (und es lassen sich noch einige denken!) – dem Goethefreund werden sie alle lieb sein, wenn sie ihm nicht zu teuer werden.
Goethe-Handbuch.
Supplemente 3: Kunst. Hrsg. von Andreas Beyer und Ernst Osterkamp. Stuttgart: J. B. Metzler 2011. XV, 624 S. Geb. 129,95 €
Für Herbst 2011 ist angekündigt: Supplement 2: Naturwissenschaften. Geb. Ca. 800 S.
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Goethe und Carl Ludwig Kaanz: Römisches Haus. Bleistift, Aquarell, 1808 |