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„Lebe wohl und grüße“
Goethes Briefwechsel mit seinem Sohn August
Bibliographie und Register
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Erst über der Lektüre dieses 1.000-seitigen Briefbandes merkt man so recht, dass er ein wirkliches Desideratum gewesen ist und Kenntnisse über das Leben August von Goethes für das rechte Begreifen Johann Wolfgang von Goethes nötig sind. Oder richtiger: dass man eigentlich gar nicht recht gemerkt hat, wie groß hier bislang das Desideratum war. Ein typisches Schicksal schon zu Lebzeiten: Immer stand der Sohn im Schatten des Vaters. Dabei war er gar nicht nur eine unglückliche und unzulängliche Erscheinung, sondern durchaus jemand, der etwas konnte, Charakter hatte und – für uns am Wichtigsten – Zeugnis abzulegen wusste über Feld und Umfeld seines Vaters. Außerdem hat er ihm mit allen Kräften bei seiner Arbeit beigestanden, uneigennützig und kenntnisreich wie sonst vielleicht nur noch Eckermann.
Wilhelm Bodes zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erschienene Biographie „Goethes Sohn“ half, als sie vor Kurzem wieder als Aufbau-Taschenbuch erschien, einem wirklichen Mangel ab. Und vollends waren dann die Italienbriefe Augusts („Auf einer Reise nach Süden“) eine kleine Sensation. Hans-Ulrich Treichel schrieb damals über diese Edition: „Angesichts der Tatsache, dass wir der Goethe-Forschung sogar ein Werk verdanken, in dem «Goethes Leben Tag für Tag» rekonstruiert wird, ist es schon erstaunlich, dass die Italienreise des Goethe-Sohnes beinahe 170 Jahre in den Archiven lagerte, bevor jemand daranging, sie zu entziffern und zu edieren. […]“
Was seine Bildung anging, konnte Goethes Sohn natürlich nur enttäuschen. Dabei wurde gemeinhin übersehen, dass er sein Auskommen als «Cammerherr und Geh. Cammer-Rath» bei der «Grossherzoglichen Oberbaubehörde» fand und dort durchaus anspruchsvollen Verwaltungsarbeiten nachzugehen hatte.
Und nun also dieses gewaltige Briefgespräch zwischen dem alternden Vater, mehr Denkmal seiner selbst, erdrückend und respektgebietet, und dem nachgeborenen Briefeschreiber, der mit kindlichen Schriftsätzchen beginnt, bei denen zunächst noch die Mutter half, der dann zusehends an Reife gewinnt und endlich – wie der Vater – nach Italien reist, um dort die Freiheit zu finden, stattdessen aber in Rom stirbt.
So ein Bildungsroman in Briefen ist schon etwas Lesenswertes! Das fängt also an mit dem ersten Gedicht des Dreieinhalbjährigen:
„Liebes Väterchen!
Dein Geburtstag ist heute,
darüber habe ich große Freude;
ich wünsche: Du möchtest noch hundert Jahre fein
gesund u zufrieden, wie jetzo seyn.“
Da hätte aus dem Kleinen noch alles, sogar ein großer Dichter werden können, denn das erste „Werk“ des Vaters – ein Geburtstagsgedicht an den Frankfurter Großvater – war keinen Deut besser. Doch kam es anders. August hatte es in allem schwerer als der ungleich gesegnetere Vater. Und hat dennoch seinen Lebenskarren gezogen, egal wieviel und was in den hineingeworfen wurde oder ob ihm Dank dafür wurde.
Der erste Band der vorliegenden Edition – 1000 Seiten umfassend! – bringt den Briefwechsel mit einer längeren Einleitung der Herausgeberin Gerlinde Ulm Sanford. Der zweite – 700 Seiten umfassend – kommentiert Brief für Brief und Zeile für Zeile. Zum Schluß folgt noch ein eigentlich immer zuverlässiges und brauchbares Kreuzregister aus Namen, Orten und Begriffen.
Eine Bibliographie der Literatur über August von Goethe und sein Umfeld hat die Herausgeberin freilich nicht beigesteuert, was doch zu einiger Verwunderung Anlass gibt, denn man möchte doch parallel und weiterlesen – und woher hat sie selber ihr Wissen? Vollends mulmig wird einem bei der Lektüre des inhaltlich durchaus erfrischenden Vorwortes, weil es voller Druckfehler ist. Und wenn das schon bei einem schlichten zeitgenössischen Text der Fall ist, denkt man sich natürlich: Wie ist das erst bei der Wiedergabe schwieriger historischer Texte, in denen es von Abkürzungen und Kursiven, Unterstreichungen und Fußnoten nur so wimmelt? Die Frage muss erlaubt sein, ob vielleicht bei den restlichen 1.670 Seiten auch so schlecht Korrektur gelesen worden ist?
Aber vielleicht sollte man nicht päpstlicher als der Papst sein und dankbar für das nun Vorliegende. Der Briefwechsel rundet ab, worum sich die Goethe-Biografik in den Jahren seit dem Goethe-Jahr besonders bemüht hat: der Erhellung des familiären Umfeldes (Mutter, Gattin, Sohn).
Klaus Seehafer
Goethes Briefwechsel mit seinem Sohn August. Hrsg. von Gerlinde Ulm Sanford. Band 1: Text. Band 2: Kommentar und Register. Weimar: Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger 2005. Geb., zus. 1732 S., 259,- Euro.