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Die Wahrheit ist schizophren
Ein Goethe-Krimi, in dem unzählige Espressi getrunken werden |
Hendrik Wilmut, Dozent für Literaturgeschichte an der Universität Frankfurt/Main und ausgewiesener Goethe-Kenner, wird von seinem Freund, einem Weimarer Stadtrat in die Arbeitsgruppe JWG gebeten, einer Sonderkommission, die Diebstähle von Goethe-Originalen aufklären soll. Wann immer der Täter sich eine Zeichnung, einen Gegenstand aus dem Haus am Frauenplan, einmal sogar aus Goethes Geburtshaus in Frankfurt, angeeignet hat, hinterlässt er einige Zeilen des Dichters. Sie zeigen nicht nur, dass er sich brillant im Werk dieses Klassikers auskennt, sondern mehr noch, dass er auch Zusammenhänge herzustellen weiß, die bis in die Gegenwart weisen und mit denen er seine Verfolger hohnvoll an der Nase herumführt. Bedrohlich wird es für Wilmut, als ihn eine dieser Nachrichten auf seinem eigenen laptop erreicht, denn woher weiß der große Unbekannte, dass er zu dieser geheim gehaltenen Soko gehört? Auch scheint dieser Verbrecher über geradezu unerklärliche Fähigkeiten zu verfügen. Ein zusätzliches Spannungsmittel sind die eingebauten Kurzkapitel aus der Sicht des Täters, sodass der Leser ahnungsvoll nachvollziehen kann, ob die Kommission auf dem rechten Weg ist, ja manchmal ist er ihr sogar voraus.
Bernd Köstering liebt den Stoff, über den er schreibt und kennt sich in seiner Materie aus. Sonst wäre sein Roman sicher auch nicht binnen Jahresfrist in die dritte Auflage gelangt. Was dem Leser das größte Vergnügen macht, ist, dass sich dieser Krimi wie ein 370 Seiten dicker Stadtführer lesen lässt. Straßen, Plätze und Häuser, Denkmäler, Hotels und Friedhöfe, alles hat seinen rechten Platz. Eher belustigend sind dagegen die rhetorisch belehrsamen Fragen. („War er nicht auch naturwissenschaftlich tätig?“ – „Das stimmt.“) Solche Dialoge haben das Niveau der „Traumschiff“-Folgen im ZDF, wenn die Reisenden von Bord gehen und Land und Leute erklärt bekommen.
Nervig ist das ewige Bitte-Danke, Guten-Tag-Auf-Wiedersehn und nur noch komisch der jeden Tag mehrmals aufgebrühte Espresso, ohne den offenbar weder Autor noch Protagonist existieren können. Dennoch: Wäre der Krimi um 100 Seiten kürzer und entsprechend rasanter, gehörte er bestimmt zu den besten Goethe-Krimis – und deren gibt es mittlerweile nicht gerade wenige.
Bernd Köstering: Goetheruh. Ein Literaturkrimi.
Meßkirch: Gmeiner-Verlag 2010. 374 S. Kart. 11,90 €