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„Es ward als ein Wochenblatt zum Scherze angefangen“

Das Journal von Tiefurt

Vor mir liegen zwei unterschiedlich voluminöse grüne Bände: Band 7 der Schriften der Goethe-Gesellschaft von 1892 und Band 74 von 2011. 119 Jahre textkritische Goetheforschung liegen zwischen ihnen, und obwohl der hier zusammengefasste und kommentierte Stoff amüsant, ja kurzweilig ist, wurde er in den letzten 120 Jahren nur diese beiden Male ediert. Wie viel tönerner Klingklang, wie viel mühsame Klassik wurde seither und immer wieder nachgedruckt, aber das Journal von Tiefurt, dem sommerlichen Lustschlösschen Anna-Amalias hat man dabei übersehen. Kein Reclam-, Insel-, Aufbau-Verlag hat sich dieser Veröffentlichung angenommen, und so musste denn die Goethe-Gesellschaft zweimal seit ihrem Bestehen aufs Ganze gehen und 1892 eine kommentierte, 2011 sogar eine diplomatische getreue Wiedergabe nach Herders Exemplar besorgen.

 

 

Schloss Tiefurt bei Weimar. Tuschezeichnung von Carl
Wilhelm Holdermann (1783 - 1852)

Man annoncierte ironisch im Stil einer modernen Zeitschrift: „Es ist eine Gesellschaft von Gelehrten, Künstlern, Poeten und Staatsleuten, beyderley Geschlechts, zusammengetreten und hat sich vorgenommen als was Politick, Witz, Talente und Verstand in unseren dermalen so merckwürdigen Zeiten hervorbringen, in einer periodischen Schrift den Augen eines sich selbst gewählten Publikums vorzulegen.“ Das sich selbst gewählte Publikum war identisch mit den Autoren: Carl August, Anna Amalia, Goethe, Wieland, Herder, Knebel, Einsiedel und Seckendorff und natürlich das „Tusselchen“, die Hofdame von Göchhausen.

Dieser kleine ausgewählte Kreis, der sich am Sommersitz der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach vor den Toren Weimars traf, hatte reichlich Zeit und wohl auch Langeweile, verbrachte die Zeit mit geistreicher Konversation und verjagte die Langeweile mit gelehrtem Spiel. Dazu gehörte unter anderem die Herstellung einer kleinen, handschriftlich vervielfältigten Publikation: Im „Tiefurter Journal“, das von 1781 bis 1784 in insgesamt 49 Ausgaben erschien, gab es in bunter Mischung gescheite Abhandlungen, Gedichte, Anekdoten, Volkslieder und Übersetzungen von Texten Diderots und Rousseaus.

Titelblatt der ersten Ausgabe des "Journals von Tiefurt"
(1892)

Auch Preisfragen waren beliebt („Was würckt am stärksten auf des Menschen Seele, Mahlerey oder Musik?“ – „Wie ist eine unocupierte Gesellschaft vor der Langeweile zu bewahren?“), die sehr ernst genommen wurden. Die Auflage schwankte zwischen acht und elf Exemplaren und wurde von einigen Schreibern handschriftlich verfertigt und an die oben genannten Adressaten weitergegeben. Beide Druckausgaben des Journals haben schon darum einen so großen Anmerkungsapparat, weil die Autoren anonym blieben, weshalb es bis heute eine reizvolle Aufgabe geblieben ist, wer die einzelnen Texte geschrieben hat. Von Goethe kennt man das meiste, weil es später in den diversen Gesamtausgaben wieder auftauchte. Vor allem waren es Gedichte („Nachtgedanken“, „Der Becher“, „Das Göttliche“, „Auf Miedings Tod“). Eines der tiefsten und in seiner Verfasserschaft meistumstrittenen Prosastücke ist das „Natur-Fragment“. Rudolf Steiner spricht es im Anhang der ersten Journalausgabe noch Goethe zu. Die Herausgeber der neuen Ausgabe hingegen sind der Auffassung, dass hier Gedanken ausgesprochen werden, „die im Tiefurter Kreis verbreitet waren und gemeinsam diskutiert wurden, auch wenn die Diskussionen über den konkreten Verfasser wegen fehlender Dokumente weiter notwendig spekulativ bleiben müssen“.

„Es ward als ein Wochenblatt zum Scherze angefangen.“ Das Journal von Tiefurt. Hrsg. von Jutta Heinz und Jochen Golz unter Mitarb. von Cornelia Ilbrig, Nicole Kabisius u. Matthias Löwe. Göttingen: Wallstein Verlag 2011. 736 S. Geb. 39,- €