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„Lieben, ohne geliebt zu werden, das dürfte es nicht geben“
Martin Walsers Roman über Goethes letzte Liebe |
Wenn ein bedeutender Schriftsteller wie Martin Walser in seinen letzten drei Romanen (und wahrscheinlich nicht nur in diesen) die immer gleiche Geschichte variiert, darf man eine idée fixe vermuten. Bei Walser ist es die aussichtslose Beziehung des alten Mannes zur sehr jungen Frau, verbunden mit grauenvollen Eifersuchtsanfällen. Da gab es die Liebe des Gottlieb Zürns zu einer jungen Doktorandin („Der Augenblick der Liebe“, 2004); die des alten Anlageberaters zu einer jungen Filmschauspielerin („Angstblüte“, 2006); schließlich die Liebe des 74-jährigen Goethes zur 19-jährigen Ulrike von Levetzow („Ein liebender Mann“, 2008).
Was in diesen Büchern längst bitterer Ernst geworden ist, konnte Walser in „Säntis“, einem Hörspiel von 1978, noch in blanke Ironie packen. Darin fasst jemand einen Roman von Liebe und Eifersucht folgendermaßen zusammenfassen: Eine Vierundfünfzigerjähriger lässt seine Frau in Europa, fliegt mit einer Fünfunddreißigjährigen nach Manhattan, dort betrügt die Fünfunddreißigjährige den Vierundfünfzigjährigen mit einem Einunddreißigjährigen; der Vierundfünfzigjährige versucht, seinen Schmerz mit einer Neununddreißigjährigen zu lindern.’ Und der diese Geschichte erzählt bekommt, entgegnet: „Wie alt ist die zuerst verlassene Ehefrau, wenn sie doppelt so alt ist wie die addierten Quersummen der beiden jüngeren Frauen?“
In seinem jüngsten Werk nimmt Walser nun also die für Goethe tragisch verlaufende letzte Liebe zur Folie. Erst gegen Ende ihres Lebens hat die hoch betagte Ulrike dann preisgeben, was sie jahrzehntelang gefragt worden ist: „Kein Liebe war es nicht.“ Für Goethe aber verhielt es sich anders: „Seit ich Sie in mich aufgenommen habe, weiß ich, dass alles, was ich bis jetzt an Mädchen und Frauen hinempfunden und auch hingeredet habe, Routine war, Rollentext. Jetzt erst bin ich es selber, der fühlt, der spricht.“ Und er resümmiert: „Es gibt das Paradies: Zwei für einander. Es gibt die Hölle: Einer fehlt.“
Das Biografische liegt gesichert vor. (Zuletzt in Dagmar von Gersdorffs empfehlenswertem Insel-Bändchen „Goethes späte Liebe“ von 2005 wünschenswert zusammengefasst.) Und der erste Teil von Walsers Erzählstrang bleibt sehr nahe an den Fakten. Im zweiten entfernen sich Dichtung und Wahrheit immer weiter voneinander, aber das erweist sich als Stärke. Während Walser im ersten Teil oft nur routiniert dahinschwätzt, wird in den fiktiven Gesprächen und Briefen des zweiten geradezu quälend klar, was das eigentliche Thema des Buches ist und was vielleicht auch den Erzähler umtreibt: eine fürchterliche und schmerzhaft gestaltete Eifersucht, wie sie wohl die meisten Männer nachvollziehen können. Weswegen es am Ende auch egal ist, ob da Goethe leidet, Walser oder der Leser. Oder sogar die Leserin. Eifersucht ist ein so allgemein-menschliches Leiden, dass dem, der darunter leidet, Mitgefühl gebührt. Umso mehr Mitgefühl, als es das einzige Leiden sein dürfte, das lächerlich und peinlich wirkt. Gerade in den Eifersuchtsszenen aber sind Martin Walser immer wieder Passagen gelungen, die einen unglaublichen Sog ausüben.
Der alte Goethe muss zweierlei lernen: Dass er weder vor Eifersucht noch Liebe gefeit ist. „Lieben darfst du doch, du musst dich nur daran gewöhnen, nicht mehr, nie mehr geliebt zu werden. […] Lieben, ohne geliebt zu werden, das dürfte es nicht geben. Diesen gemeinsten Schicksalspfusch hatte er noch nicht erfahren gehabt, dafür wurde Ulrike von Levetzow geboren und gebildet.“
Martin Walser: Ein liebender Mann. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2008. 284 S., geb. 19,90 Euro.
P.S. 1997 ist im Deutschen Taschenbuch Verlag ein Roman von Gail Godwin erschienen. Sein Titel: „Ein liebender Mann“. Ob der Titel schon vergeben war, hätte ein schneller Blick in die elektronisch erfassten Bestände der Deutschen Bibliothek ergeben.